Jedes Jahr am 9. November gedenken wir gemeinsam mit vielen Worpsweder*innen auf dem Rosa-Abraham-Platz der entrechteten, deportierten und ermordeten Jüdinnen und Juden Worpswedes. Auch in diesem Jahr sind die Pogrome in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 Anlass für uns zu erinnern – in einer Zeit, in der sich antisemitische Vorfälle bis hin zu offener Gewalt erschreckend und unübersehbar häufen und nach einer Bundestagswahl, bei der bundesweit jede/r zehnte Wähler*in die AfD gewählt hat, eine rechtsextreme Partei, deren Anhänger*innen und politisches Umfeld Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Verschwörungserzählungen aktiv vertreten. In Worpswede waren es über 5%.
Wir gedenken
der in Worpswede aufgewachsenen Schwestern Johanne Sanders (geb. Abraham), ermordet in Treblinka, Sophie Schwabe und Merry Leeser, umgekommen in Theresienstadt. Wir gedenken ihrer Schwägerin Rosa Abraham, ermordet in Treblinka, und aller vertriebenen Worpsweder Jüdinnen und Juden, die im Exil die Nazizeit überlebt haben.
Wir erinnern daran,
was mit der Machtübergabe an die NSDAP 1933 mit der Entrechtung, Enteignung und Gewalt gegenüber Juden, der politischen Opposition und diskriminierten Minderheiten begann und den ersten Höhepunkt des mörderischen Antisemitismus in den Novemberpogromen fand.
Wir versuchen, aus der Geschichte zu lernen und Schlussfolgerungen zu ziehen.
Antisemitismus war in Deutschland auch nach 1945 nie verschwunden ebenso wenig wie rechtsextreme Gewalt gegen Jüd*innen, Migrant*innen, Geflüchtete, Obdachlose, Linke… „Mindestens 213 Menschen sind seit 1990 in Deutschland von Rechtsextremen ermordet worden. Zehntausende wurden verletzt oder bedroht.“ (SZ v. 8.10.21) Es gibt eine Kontinuität von NSDAP-Altkadern, die über Jahrzehnte hinweg in politischen, wirtschaftlichen, juristischen und medizinischen Spitzenpositionen in der BRD tätig waren und deren geistige Nachfahren sich heute in einer erstarkenden rechtsextremen Szene und in Teilen von Polizei, Justiz und Militär sammeln.Gegenwärtig nimmt Antisemitismus in Deutschland, Europa und den USA zu. 2351 antisemitische Straftaten wurden in Deutschland 2020 registriert. Niemals seit 2001, seitdem solche Straftaten gesondert erfasst werden, gab es mehr.
„Anstatt Juden und Jüdinnen immerzu zu befragen, inwiefern sie von Antisemitismus betroffen seien …, könnte man alle anderen fragen, was sie gegen Antisemitismus tun.“
Helene Shani Braun (Rabbinerin i. Ausb.)
– vor allem Politiker*innen, Polizei und Justiz.
Heute stellen wir mit Bestürzung und Sorge fest, dass die Mahnung zunehmend das Gebot unserer Zeit ist. Die Rückkehr zu Nationalstaaten und Angst vor „den Fremden“, eine erschreckende Empathielosigkeit gegenüber Flüchtenden, neue Bewegungen des Rassismus, Erosion des Rechtsstaates in vielen Staaten und ein neues Erwachen von Antisemitismus zeigen eine Unmenschlichkeit, die wir hofften, hinter uns gelassen zu haben.
Die Erinnerung mahnt uns, dass wir den Weg zur Unmenschlichkeit auch in ihren Anfängen nicht dulden dürfen. Wir wollen überall Hass, Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entgegentreten, besonders aber an den Orten, an denen wir Verantwortung tragen und wo von uns ein klares Wort erwartet und gehört wird. Wir lassen uns fragen, wo wir Antisemitismus und Menschenverachtung zu viel Raum geben.
Dieser Frage stellen wir uns als Initiative Worpsweder Bürger*innen nicht nur an Gedenktagen, an denen wir versuchen, das Erinnern und Gedenken zu verbinden mit der Vermittlung von Informationen, mit Lesungen, Vorträgen, Reden und Aufrufen. Wir versuchen, bei aktuellen Anlässen – z.B. Morde in Hanau, Brand im Flüchtlingslager Moria, Attentat in Halle – mit Stellungnahmen zur Aufklärung und mit Spontankundgebungen zu reagieren.
Diese Frage stellt sich uns jeden Tag am Arbeitsplatz, in Schulen, auf der Straße, in Geschäften, in der Familie, im ÖPNV, im Netz. Die Gesellschaft muss sich darauf verlassen können, dass Polizei und Justiz gegen Gewalt und Androhung von Gewalt konsequent vorgehen. Wir anderen sind aufgefordert, gegen jede antisemitische, fremdenfeindliche, Menschen diskriminierende Äußerung einzuschreiten – oder bei Aggressivität und Gewalt sofort die Polizei einzuschalten, sich an die Seite des Opfers zu stellen – Zivilcourage zeigen!
Zum Gedenken möchten wir uns mit allen interessierten Worpsweder Bürger*innen am 9. November um 18.00 Uhr auf dem Rosa-Abraham-Platz an der Hembergstraße / Udo-Peters-Weg in Worpswede treffen.
Begrüßung: Dr. Almut Helvogt, Worpswede
Gedenkrede: Pastor Jörn Contag, Worpswede
Lesung kurzer Texte und Gedichte durch Mitglieder der Initiative
Wir sammeln Spenden für AMCHA, eine nicht-staatliche Organisation in Israel, die den Überlebenden der Shoa sowie deren nachfolgendenden Generationen bei der Bewältigung ihrer Traumata zur Seite steht. Unterstützt wird sie von AMCHA Deutschland. Die Erfahrungen in der Arbeit mit Traumatisierten werden auch an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Arbeit mit Geflüchteten in Deutschland weitergegeben.
Alle Anwesenden müssen sich an die geltenden Hygieneregeln halten: Abstand wahren – Hygiene – Mund-Nasenschutz tragen.
Die Gedenkveranstaltung wird getragen von:
- AG „Aufarbeitung der NS-Zeit in Worpswede“ im Heimatverein Worpswede
- Bürgermeister der Gemeinde Worpswede
- CDU Worpswede
- Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) Bremen / Unterweser e.V.
- Bündnis 90/Die Grünen OV Worpswede
- Der Integrationsbeauftragte der Gemeinde Worpswede
- DIE LINKE Worpswede
- Ev.-luth. Kirchengemeinde Hüttenbusch
- Ev.-luth. Kirchengemeinde Worpswede
- FDP Worpswede
- Flüchtlingsinitiative Worpswede
- Förderverein Maria Frieden e.V. Worpswede
- Freunde Worpswedes e.V.
- Freundeskreis Haus im Schluh
- Heimatverein Worpswede e.V.
- Heinrich-Vogeler-Gesellschaft Verein Barkenhoff Worpswede e.V.
- SPD Worpswede
- Stiftung Worpswede
- UWG Worpswede