Von der Initiative NIE WIEDER – Erinnern für die Zukunft – Gemeinsam gegen Rechts haben wir sechs Monate lang ab Anfang Januar dieses Jahres jeden Montag mit unseren angemeldeten Treffen am Rathaus verhindert, dass Querdenker*innen und andere Mitglieder der rechten Szene aus Worpswede und umzu den Platz vor dem Rathaus besetzen konnten. Sie demonstrierten dann auf dem Dorfplatz gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und gegen unsere Solidarität mit der durch die russische Armee angegriffene Ukraine. Zusätzlich meldete eine Gruppe Worpsweder Bürger*innen von Ende März bis Ende Mai jeden Montag ab 17.45 Uhr eine Versammlung auf dem Dorfplatz an, um von dort aus zum Rathaus zu gehen. Gemeinsam wollten wir verhindern, „dass rechtsradikale Bewegungen die Räume besetzen, dass neovölkische Dogmen die Diskurse durchziehen, dass revisionistische, antidemokratische Ambitionen normalisiert und bagatellisiert werden.“ (Die Publizistin Carolin Emcke in ihrer Laudatio zum Paul-Spiegel-Preis, in: Jüdische Allgemeine vom 7.7.22)
Der Vorgang
Am 11.7.22 kam – wie jeden Montag – eine Gruppe engagierter Worpsweder Bürger*innen zur Beobachtung einer nicht angemeldeten kleinen Versammlung von „Montagsspaziergänger*innen“ auf dem Worpsweder Dorfplatz zusammen. Dieses Mal war unter letzteren ein Mitglied der Kleinpartei „Die Basis“ – laut Wikipedia der parteipolitische Arm der „Querdenker“-Bewegung – und sammelte Unterschriften, um bei der Landtagswahl im Oktober antreten zu können. Die Frau gab auch einen Zettel an eine der Worpsweder*innen, wurde dann aber informiert, dass diese eine Gegnerin der Querdenker sei, und forderte daraufhin ihren Zettel zurück. Als sie ihn nicht bekam, versuchte sie ihn sich mit Gewalt zurückzuholen, stürzte sich aufdie vor ihr Sitzende, würgte sie mit beiden Händen, schlug ihr auf den Kopf und riss ihr die Brille vom Gesicht. Die Angegriffene wurde verletzt. Es fanden sich Würgemale am Hals undRötungen am Kopf.Im Krankenhaus wurde eine Schädelprellung diagnostiziert. Freund*innen der Verletzten gelang es, die aggressive Frau fortzuziehen und die Polizei zu rufen. Querdenker, die zwei Meter danebenstanden, reagierten nicht und entfernten sich, als wäre nichts passiert.
Die Polizei notierte den Hergang und die Verletzungen. Ein Krankenwagen wurde gerufen, da die Verletzte kollabierte. Sie wurde zur Notaufnahme gebracht. Sie hat weiterhin Schmerzen.Eine Anzeige wegen Körperverletzung wurde erstattet.
Mit diesem Vorfall ist in Worpswede endgültig das Selbstbild der Querdenker*innen vom harmlosen, unbescholtenen Bürger, der dort mit anderen „spazieren geht“ und sich der Gemeinschaft erfreut, zerstört.
Die unkontrollierte Wut der Frau ist nicht zuletzt ein Resultat der monatelangen Hetze in Social Media, besonders in den Telegramgruppen: Das ständige Bestärktwerden in der Überzeugung, dass nur die Querdenker*innen noch klar denken, dass sich alle außerhalb ihrer Gemeinschaft gegen sie wenden, die Eliten auf der ganzen Welt Teil einer menschheitszerstörenden Verschwörung sind und nur der „Freiheitskampf“ der „Montagsspaziergänger*innen“ die Welt vor dem Untergang retten kann. Der Schritt zur Gewalt ist bei diesem Selbstverständnis nicht mehr weit.
Von der Meinung über die Drohung zur Gewalt
Der geschilderte Verlauf ist weder zufällig noch einmalig. Er zeigt das Muster, nach dem alle rechten Bewegungen seit jeher vorgehen – auf nationaler Ebene, wenn sie die Demokratie zerstören wollen; im lokalen Maßstab, wenn sie ihren fixen Ideen und ihrer Wut öffentlich Geltung verschaffen wollen.
Anfangs geht es scheinbar um die Meinungsfreiheit. Sie wollen, dass auch mit ihnen diskutiert wird. Wir erinnern uns der Leuchttafel, die einer der Querdenker mit sich herumtrug: „Wir müssen reden.“ Sie wollen aber nicht reden, sondern ihre Meinung durchsetzen. Und sie besetzen und deuten Begriffe wie „Freiheit“, „Frieden“ etc. um wie es schon Orwell in seiner bekannten Dystopie „1984“ für den „Neusprech“ beschrieben hat: „Krieg ist Frieden; Freiheit ist Sklaverei; Unwissenheit ist Stärke.“
Ihre Aufzüge haben immer etwas Drohendes. Jeder spürt das, der nicht ihre Meinungen vertritt. Und von der Drohung ist es nicht weit zur Gewalt.
Gewalt ist der Weg, auf den rechte Bewegungen setzen. Das haben sie in den zwanziger Jahren getan mit ihren „Saalschutztruppen“, das tun sie heute, wenn ihnen der Staat den Freiraum lässt.
Die gerichtliche Aufarbeitung
„Zivilcourage zeigt sich sichtbar im öffentlichen Raum. Es gibt sie nicht im Verborgenen. Zivilcourage allein und klammheimlich zu Hause gibt es nicht. Das ist bloß Maulheldentum.“ (nochmal Carolin Emcke). Aber wo gewaltfreie Diskussion auf gewalttätige Gruppen trifft, reicht Zivilcourage nicht aus. Das ist dann eine Sache der Polizei, die hoffentlich eingreifen wird, bevor ein solcher Angriff noch einmal geschieht, und eine Sache der Gerichte.
Wir sind solidarisch mit der Angegriffenen. Wir hoffen, dass ihre Anklage nicht auf eine Justiz trifft, die auf dem rechten Auge blind ist, und wünschen uns allen, dass wir uns durch rechte Gewalt nicht einschüchtern lassen.