„Der Widerstand im Nationalsozialismus steht trotz seines äußeren Scheiterns für einen unzerstörten Restbestand an Menschlichkeit, Empathie, Mut und Gegenwehr, die selbst unter Bedingungen totaler Herrschaft überlebt hatten.“
Dr. Stephan Malinowski, Historiker, Edinburg
Der 8. Mai 1945 war der Beginn der Befreiung von vielen Gesetzen, die zur „Legalisierung“ des Naziterrors geschaffen worden waren – vor allem von den Gesetzen zur Entrechtung und Verfolgung von Juden und Jüdinnen, aber auch solchen, die jeglichen Widerstand, jegliche Opposition im Keim ersticken sollten wie das 1934 erlassene „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Partei und Staat und zum Schutz der Parteiuniformen“. Politischen Widerstand gab es in der Stadt und auf dem Land, in Fabriken, Universitäten, Schulen und auf der Straße, bei Tag und bei Nacht:
- Verteilen von Flugblättern, Aufklebern, getarnten Broschüren
- Parolen an Eisenbahnwaggons und Hauswänden
- Sabotageakte
- Abhören von „Feindsendern“, Verbreiten von Informationen aus ausländischen Quellen
- Attentate, „Wehrkraftzersetzung“, Fahnenflucht, „Defaitismus“
- Verstecken und Versorgen von geflohenen Kriegsgefangenen, Jüdinnen und Juden und anderen Verfolgten
- „Schwächung der deutschen Volksgemeinschaft“
- Weitergabe von Informationen Entlassener aus den Lagern
- Widerstand gegen die Gestapo
Zu diesen Äußerungsformen explizit politischen Widerstands kamen viele widerständige Alltagshandlungen zum Unterlaufen der nazistischen Regeln für das Zusammenleben (z.B. Verweigern des Hitlergrusses, Verweigern der Mitgliedschaft in Naziorganisationen wie Hitlerjugend (HJ) oder Bund Deutscher Mädel (BDM)). Tausende landeten für diesen Widerstand im Gefängnis, im Zuchthaus, in Lagern, auf dem Schafott oder am Galgen. Allein von 1933-35 wurden 110 von 20.883 angeklagten Antifaschisten zum Tode verurteilt, 60 wurden hingerichtet. Dazu kamen ungezählte auf der Straße Erschossene oder Totgeprügelte. Allein 1936 wurden 11.687 Kommunist*innen und 137 Sozialdemokrat*innen verhaftet. Der aktive Widerstand durch Mitglieder der verbotenen KPD, der SPD und der Gewerkschaften führte zur größten Zahl an verfolgten, inhaftierten und ermordeten Männern, Frauen und Jugendlichen. So wurde 1938 als erste Frau die Kommunistin Liselotte Hermann mit dem Fallbeil hingerichtet. Die 1933 eingerichteten „Sondergerichte“ verurteilten etwa 11.000 Menschen zum Tode, der seit 1934 für Hoch- und Landesverrat zuständige „Volksgerichtshof“ ließ 5000 Widerstandskämpfer*innen umbringen. 15.000 Todesurteile wurden durch die Militärgerichtsbarkeit wegen Fahnenflucht vollstreckt.
Erst mit der Verkündung des Grundgesetzes 1949 wurde die Bundesrepublik zu einem demokratischen Rechtsstaat mit Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit, auch wenn bis heute in Institutionen wie Bundeswehr, Justiz und Polizei das „rechte Auge“ oft blind ist und in rechtsextremistischen Netzwerke Menschenfeindlichkeit verbreitet werden kann. Niemand muss mehr – wie unter den Nazis oder in heutigen diktatorischen Regimes – um sein oder ihr Leben fürchten, wenn er oder sie die eigene Meinung öffentlich vertritt. Niemand muss mehr einen dem Todesurteil gleichkommenden gelben „Judenstern“ tragen.
Hervorgehoben im offiziellen Gedenken wird der Widerstand von wenigen Gruppierungen bzw. Personen: die „Weiße Rose“, verbunden mit den Namen der Geschwister Scholl; besonders in Fischerhude Cato Bontjes van Beek, die verbunden war mit der Schulze-Boysen/Harnack-Organisation (von Nazi-Dienststellen als „Rote Kapelle“ bezeichnet); von Georg Elser; vor allem aber das Attentat vom 20. Juli (Kreisauer Kreis). Alle diese Widerständler*innen, sofern die Nazis ihrer habhaft wurden, wurden in Plötzensee oder anderen Hinrichtungsstätten ermordet oder bei Gefangennahme gleich erschossen. Ihre Helfer*innen, wenn sie nicht untertauchen konnten, wurden gefoltert und umgebracht.
Ebenso erging es den – immer mehr im öffentlichen Bewusstsein vergessenen bzw. verschwiegenen – Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Gewerkschaftler*innen und den Christ*innen, Juden und Jüdinnen und Beteiligten anderer verfolgter Minderheitengruppen, die gegen die Nazidiktatur kämpften, sei es als Einzeltäter*innen mit Todesmut, sei es als im Untergrund organisierter Widerstand von politischen oder Kulturgruppen.
Wir möchten an diesem 8. Mai zum einen an die Zivilcourage und den Widerstand zweier Jugendgruppen erinnern: an die „Edelweißpiraten“ und die „Swing-Jugendlichen“.
Bei den „Edelweißpiraten“ handelte es sich um Gruppen von Arbeiterjugendlichen, die anfangs nur ihr Erscheinungsbild selbst bestimmen, ihre Freizeit nach eigenen Wünschen gestalten wollten und sich mit der Hitlerjugend (HJ) prügelten. Später malten sie Anti-Kriegs-Parolen, einige gingen in den Untergrund und die Köln-Ehrenfelder Gruppe ermordete etliche Nazifunktionäre. In einer Vergeltungsaktion der Gestapo 1944 wurden sechs Minderjährige ohne Prozess öffentlich gehenkt. Anhand von Gestapo-Akten gab es allein an Rhein und Ruhr mehr als 3000 Edelweißpiraten. Erst 2005 wurden die Kölner Edelweißpiraten offiziell vom Regierungspräsidenten als Widerstandskämpfer anerkannt und rehabilitiert.
Die sogenannte Swing-Jugend gab es in den vierziger Jahren in vielen Großstädten der westlichen Welt. In Deutschland war besonders Hamburg eine Hochburg der Swing-Kids. Das oppositionelle Verhalten der Swing-Jugend bestand primär aus dem Beharren auf ihrer, bei den Nazis verfemten („entarteten“) Swing-Musik, einem eigenen Kleidungs- und Lebensstil und der Verweigerung der Mitgliedschaft in der HJ. Sie waren meist Gymnasiast*innen und kamen aus den vornehmen und teuren Wohnvierteln ihrer Stadt. Die Hochburg der Swing-Jugend war Hamburg. In Folge der Repressionen seitens der Nazis bildete sich unter den Swing-Kids erster politischer Widerstand. Es kam zu vereinzelten Kontakten zum Hamburger Teil der „Weißen Rose“. Viele der Jugendlichen verloren in Arbeits- und Konzentrationslagern ihr Leben für ihre Liebe zur Jazz- und Swing-Musik und ihre Gegnerschaft zur HJ.
Zum anderen erinnern wir an den Widerstand von Juden und Jüdinnen in Deutschland: als Mitglieder der alliierten Armeen (insgesamt 1,5 Mio. Juden von 20 Mio. alliierten Soldaten und in der britischen Armee sogar mit einer speziellen jüdischen Brigade), in Ghettos und Lagern, in der Résistance in Frankreich und Belgien, im Untergrund in anderen besetzten Ländern, in den Partisanenkämpfen in Osteuropa.
(Foto: Eine Gruppe jüdischer Partisanen in den Wäldern von Bransk,Polen, 1942)
Selbst in Konzentrations- und Vernichtungslagern fanden Gefangenenaufstände statt. In Treblinka töteten im August 1943 drei Gefangenengruppen, die zum Verbrennen der Leichen und Sortieren des Eigentums der Ermordeten gezwungen wurden, einen Teil des Lagerpersonals, übernahmen die Kontrolle über das Waffenlager und steckten die Gaskammern und Baracken des Lagers in Brand. In Sobibor rebellierten die Gefangenen, und einigen von ihnen gelang die Flucht. Auch in Auschwitz-Birkenau gab es Widerstand, Sabotageakte und Fluchtversuche. Im Oktober 1944 organisierten Häftlinge des Sonderkommandos einen Aufstand. Ihnen gelang es, ein Krematorium mit Sprengsätzen zu zerstören. (Quelle: Internationale Holocaust Gedenkstätte Yad Vashem)
1943 gab es in der Rosenstraße, Berlin, eine spontane Protestdemonstration, in der „arische“ Ehepartnerinnen aus „Mischehen“ die Freilassung ihrer jüdischen Männer forderten. Aufgrund der Aktionen wurden einige der Verhafteten entlassen.
Der politische Widerstand von Jüdinnen und Juden in Deutschland wurde im Wesentlichen von jungen Arbeiter*innen getragen, die überwiegend kommunistisch orientiert waren und mit der etablierten jüdischen Gemeinschaft in eher loser Verbindung standen. Die bekannteste und größte deutsch-jüdische Widerstandsorganisation ist die „Herbert-Baum-Gruppe“, die sich vor allem an die Berliner Arbeiter wandte und sie in Flugblättern zum Sturz der Nazidiktatur aufrief. 27 Mitglieder dieser Gruppe wurden 1942/43 verhaftet und, soweit sie nicht in der Untersuchungshaft ermordet wurden, in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Historiker des Widerstands deutscher Juden gehen von ungefähr 2000 jungen Jüdinnen und Juden aus, die zwischen 1933 und 1943 aktiv in der antifaschistischen Untergrundarbeit tätig waren.
Dieser Widerstand ist wohl eher unbekannt. Die Erinnerung soll auch dazu beitragen, dem in vielen Köpfen verankerten Opferstatus von Jüdinnen und Juden etwas entgegenzusetzen: Juden und Jüdinnen als aktiv handelnde, widerständige Individuen und Gruppen, die gegen ihre Vernichtung kämpfen für eine Zukunft in Frieden und Menschlichkeit.
Katharina Hanstein-Moldenhauer