„Es ist ein schreckliches Schauspiel, wenn das Irrationale populär wird.“
Thomas Mann 1943
Vielfältige Verschwörungserzählungen kursieren seit Beginn der Corona-Pandemie in sozialen Medien und bei Demonstrationen sogenannter Querdenker. Sie scheinen aus dem Nichts zu kommen, doch es gibt sie seit Jahrhunderten. Sie haben eine große Ansteckungsgefahr und verbreiten sich in den digitalen Medien rasant schnell. Sie sind keineswegs harmlos und haben das Potential, in politischen Extremismus und in Gewaltbereitschaft zu münden.
Verschwörungserzählungen folgen einem Muster. Sie „arbeiten“ mit Behauptungen und Unterstellungen. Sie erzeugen ein schlechtes Bild von einer Gruppe Menschen, die Böses im Schilde führt. Ob es mächtige Eliten und „Kräfte“ sind, die im Geheimen Grundrechte entziehen, die „Diktatur“ oder „Einsperr-Gesetze“ planen und dazu das Corona-Virus benutzen. Oder ob es WissenschaftlerInnen sind, die uns über das Virus und über die Wirksamkeit der Impfung belügen. Hinzu kommen die Verhöhnung staatlicher Institutionen und Hass auf Politikerinnen und Politiker.
Die Verschwörungserzählungen haben eine zerstörerische Kraft. Sie benennen für komplexe, bedrohlich erscheinende Entwicklungen immer Schuldige und „Sündenböcke“. Das ebnet den Weg in einfache Weltbilder und ist häufig mit judenfeindlichen Klischees verbunden. Dazu gehört die Unterstellung, Juden seien „Weltverschwörer“ und wollten als „dunkle Macht“ die Welt beherrschen. Gleichzeitig sehen sich Teile der „Querdenken“-Bewegung in einer Opferrolle und behaupten: ihre Mitglieder seien durch die Regeln zur Bekämpfung der Pandemie ebenso bedroht wie die Juden und Jüdinnen 1933 bis 1945.
Die einfachen Antworten führen zu teils gewalttätigen Angriffen auf konkrete Gruppen: Angehörige von Religionsgemeinschaften, Asylsuchende, Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 und viele andere Gewalttaten beweisen die Gefahren für betroffene Menschengruppen.
Auf Verschwörungserzählungen zu reagieren, ist nicht einfach. Es helfen eine klare eigene Positionierung sowie das permanente Hinterfragen von Wahrheitsgehalt und Glaubwürdigkeit scheinbar gesicherter Informationen. Nur so lassen sich Fehl- und Desinformationen entlarven, die oft für Ziele einzelner Interessengruppen eingesetzt werden.
- Die wissenschaftliche Erkenntnis muss Basis der Meinungsbildung sein!
- Qualität und Herkunft der Informationsquellen müssen nachvollziehbar sein!
- Die eindeutige Distanzierung von rassistischen, antisemitischen, nationalistischen, menschen- und demokratiefeindlichen Äußerungen ist absolutes Gebot!
„Alles noch einmal überprüfen, nichts für gegeben hinnehmen. Wachsam sein, ohne Vorurteile, gescheit und gütig zugleich…und immer wieder fragen“
[der aus der Emigration zurückgekehrte Schriftsteller Hans Sahl, 1959]
– dieser Grundsatz kann helfen, sich vor schnellen und einfachen Antworten zu schützen.
Harro Jenss