Beitrag zum Treffen vor dem Rathaus am 14.2.22

Ausgangspunkt meines Beitrags ist die Aufforderung, wir sollten bei den „Spaziergänger*innen“, die ihren Protest gegen das Impfen der Bevölkerung öffentlich bekunden, nach Motiven differenzie­ren. Auch wenn Rechtsradikale mitlaufen oder die Protestaktionen organisieren, dürfe man nicht alle  in einen Topf werfen.

These 1. Kein Einwand gegen Differenzierung

Wir würden hier nicht stehen, wenn es nur darum ginge, dass Menschen ihre Angst oder Besorgnis vor den Folgen einer Impfung auf die Straße tragen möchten. Man könnte dann immer die Toten aufgrund der Pandemie mit den Toten aufgrund einer Impfung vergleichen und käme dann zu Er­gebnissen , die jeden überzeugen müssten. Aber egal.

Nicht egal ist, dass die sog. Spaziergänger*innen weit über dieses Anliegen hinausgehen. Und deswegen stehen wir hier. Der Übergang von Impfgegnern   zu Antidemokraten ist fließend.

Menschen mit rechter Gesinnung wirken in der Bewegung der Impfgegner als Brandbeschleuniger. Sie wollen nicht nur keinen Schutz der Bürger, sondern wollen die staatlichen Institutionen, die in diesem Fall im Sinne der Bürger versuchen zu handeln, delegitimieren. Das betrifft uns alle hier unmittelbar.

Schon am letzten Montag wurde kurz auf Götz Kubitschek vom Institut für Staatspolitik, einem Thinktank der Neuen Rechten, verwiesen. Ich wiederhole das nochmal, weil es ein Schlüssel zum Verständnis der Strategie der sogen. Neuen Rechten ist. Er formulierte bereits 2013 zum Konzept der rechten Szene in einem Blog: „Man brauche einen polarisierenden Vorwand, ‚das Türöffner-Thema’… und unsere Themen kommen hinterdrein gepoltert, wenn wir nur rasch und konsequent genug den Fuß in die Tür stellen‘.“ (DIE ZEIT v. 13.1.22: Ein inszenierter Aufstand). Türöffner-The­ma:2015: Die Geflüchteten. 2020/21/22: Corona, Impfen, Impfpflicht. Und dann? Eine Bewegung gegen Maßnahmen zum Schutz vor menschengemachtem Klimawandel?

Und ein bemerkenswertes Beispiel unter erschreckend vielen aus dem Oberallgäu: Ein Kreisrat fordert am 11.2.22 mit folgender Begründung den Stopp aller Corona-Schutzmaßnahmen: »Mit meinem Antrag stelle ich ebenso klar, dass ich mich vom aktuell praktizierten Verhalten in voller Gänze distanziere und nicht mitverantwortlich bin für das grauenvolle Leid, das auch unser Land­kreis in blinder Hörigkeit und übertriebenem Eifer über seine Bevölkerung bringt.« Das »grauenvol­le Leid« hätte nicht die Pandemie, sondern die Maßnahmen dagegen ausgelöst, die er im Kreis mit seinem Antrag sämtlich kippen will. Bisher kennen wir diesen Begriff aus Gedenkreden, wenn es um das grauenvolle Leid der Opfer des Nationalsozialismus ging – hier wieder eine Anspielung auf die vermeintliche „Nazidiktatur“ durch die Bundes- und Länderregierungen.

Die verschiedenen Gruppen „spazieren“ gemeinsam – in Worpswede (noch) friedlich, anderswo z.T. ausge­sprochen gewalttätig.

These 2. Nicht wir, die Impfgegner sollen in ihren Reihen differenzieren

Aber warum müssen eigentlich nur w i r differenzieren? Die Impfgegner selbst sollen auch unterscheiden, mit wem sie sich zusammenschließen und mit wem nicht. Wenn sie selber nicht zwischen Impfs­keptikern, Impfgegnern, Freien Niedersachsen, Freiheitsboten, Reichsbürgern und Nazis unter­scheiden, müssen sie sich die Aktionen zurechnen lassen.

These 3. Das Gespräch suchen? – Eher nicht

Die Haltung, man müsse überhaupt erst mal erfahren, was Impfskeptiker und Impfgegner denken und wollen und daher das Gespräch suchen, klingt so, als ob es darum ginge, dass w i r Vorurteile hätten. Die Mehrheit derer, die Impfung, Maske und Abstand akzeptiert, tun dies, weil sie Argu­menten zugestimmt und Erfahrungsberichte akzeptiert hat, nicht, weil sie einen irrationalen Hass auf Impfgegner hat oder sich einem böswilligen Staat widerstandslos unterworfen hätte.

Man kann von Impfgegnern verlangen, dass sie ihre Behauptungen belegen und nicht mit Einzel­fällen oder vagen Vermutungen aufwarten. Die Beweislast für ihre Behauptungen liegt bei den Impfgegnern.

Falls wir uns mit Impfgegner*innen wie zum Beispiel dem Herausgeber des „Freiheitsboten Worps­wede“ an einen Runden Tisch setzen würden, fänden wir uns hinterher evtl. namentlich falsch zi­tiert und verunglimpft im Netz wieder wie das nach einer ersten Begegnung hier vor dem Rathaus am 10.1.22 geschehen ist.  Oder wie es einem Mitglied unserer Initiative nach einem langen und vereinbarten Gespräch mit einer Worpsweder „Querdenkerin“ passiert ist: eine hasserfüllte mail von einem weiteren, über das Gespräch und den mailverkehr informierten Worpsweder „Querden­ker“ zu erhalten.

These 4. Meinungen sind keine Begründungen

Ohne Meinungen kommen wir nicht aus, aber sie sind nur der Anfang einer ernsthaften Befassung mit einem Thema. Eine Meinung zu haben, erfordert kein Wissen, keine Anstrengung, man muss nur losreden. Wenn danach nicht mehr folgt als die Wiederholung der Meinung, kommen keine Ar­gumente und kein Austausch von Argumenten zustande.

Darauf stützt sich aber die rechte Anti – Maßnahmenbewegung der „Spaziergänger*innen“. Das Problem sind nicht Meinungen, sondern die Unzugänglichkeit für Argumente. Warum sollten wir uns abmühen, mit Menschen ins Gespräch zu kommen, die ein Gespräch nicht führen wollen oder auf Argumente nicht eingehen können? Adorno sprach in einem Vortrag über das Weiterleben des Nazismus von der „Unerreichbarkeit“ der Rechtsextremen. Das lässt sich auch von der Bewegung der „Montagsspaziergänger“ sagen.

These 5. Meinungsfreiheit ist ein hohes Rechtsgut

Meinungsfreiheit beinhaltet das Recht, etwas zu glauben und öffentlich aussprechen zu dürfen, was nach Meinung anderer kompletter Unsinn ist. Diese Freiheit ist tatsächlich ein hohes Gut. Das zeigen gesellschaftliche Verhältnisse, in denen Verbote und Gewissenszwang jede öffentliche Auseinandersetzung unmöglich machen. Aber diese Verhältnisse haben wir nicht. Impfskeptiker und Gegner kommen überall zu Wort, es wird über sie berichtet, niemand schränkt ihre Rechte ein. Schon wenn sie so tun, als würden sie ihre Meinung nicht öffentlich ausdrücken können, verletzen sie dieses verfassungsmäßige Recht durch eine Falschbehauptung.

Wenn die Impfgegner selbst nicht differenzieren und mit Gruppierungen, die die Rechtsstaatlichkeit angreifen, öffentlich gemeinsame Sache machen, dürfen sie als einheitliche Gruppierung betrach­tet werden. Private Vorbehalte und bloße Meinungen reichen nicht aus.

Fazit:

Nur scheinbar sind die „Montagsspaziergänge“ eine „Sammelbewegung der Unzufriedenen“, die es u.a. gegen „Merkel und Söder“ auf die Strasse treibt (wie es neulich in einem Kommentar der Wümme-Zeitung zu lesen war). Das hatten wir bereits bei Pegida – die Bewegung „besorgter Bür­ger*innen“. Beide Bewegungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie von „Zufriedenen“, „Unbe­sorgten“ bzw. nur um die eigene Machterringung Besorgten organisiert werden – und das sind nun mal rechte, in ihren Intentionen destruktive, verfassungsfeindliche Organisationen, Publikationen, Initiativen und einschlägige social-media-Kanäle wie z.B. auf Telegram.

Auch die Verlagerung des Demonstrationsschwerpunktes nach Ritterhude, nachdem durch die De­monstration am 10.1.22 in Worpswede deutlich wurde, wer hier die sichtbare Mehrheit ist und dass rechte Parolen hier (noch) nicht ziehen, verdeutlicht die Netzwerkorganisation der Rechten.

Also: Auch wenn die einzelnen „Spaziergänger*innen“ im Zweifelsfall meinen, „die Demokratie zu verteidigen“, tun sie das im Rahmen einer Bewegung, die bundesweit vom Verfassungsschutz und den demokratischen Parteien mit großer Besorgnis betrachtet wird, die von Diffamierungen bis hin zu Morddrohungen im Netz alles aufbietet, um Ängste zu schüren, Menschen zutiefst zu verunsi­chern und aufzuputschen. Solange  sich die „heterogenen“  „Montagsspaziergänger*innen“ nicht zu einer eindeutigen Distanzierung von den rechten Organisatoren und Parolen aufraffen können, ist es nicht unser Problem, wenn wir nicht öffentlich zwischen Nazis, Reichsbürger*innen, Mass­nahmenkritiker*innen etc. differenzieren.