Begrüßung durch Jochen Semken
Im Namen der Organisatoren begrüße ich alle Anwesenden zu diesem äußerst unerfreulichen und bedauernswerten Anlass!
Die fürchterlichen Ereignisse in Hanau machen uns fassungslos und sprachlos.
Im November, anlässlich der Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht habe ich gesagt, dass wir wachsam sein müssen.
Heute sage ich: Wachsamkeit ist weiterhin wichtig, aber lasst uns auch die Sprachlosigkeit schnell überwinden. Lasst uns aktiv gegen rechts aufstehen, lasst uns nicht akzeptieren, wenn in unserer Nähe gegen Mitmenschen und gegen unsere Demokratie gehetzt wird. Und wenn uns alleine der Mut fehlt aufzustehen, suchen wir uns Verbündete und erheben gemeinsam Widerspruch.
Ich zitiere Erich Kästner:
Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.
Das ist die Lehre, das ist das Fazit dessen, was uns 1933 widerfuhr. Das ist der Schluss, den wir aus unseren Erfahrungen ziehen müssen, und weiter: Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.”
Ansprache
Katharina Hanstein-Moldenhauer, DIG Bremen/Unterweser e.V., Worpswede
Wir gedenken voller Trauer der Opfer des Anschlags von Hanau und ihrer Angehörigen.
- Gökhan Gültekin
- Sedat Gürbüz
- Said Nesar Hashemi
- Mercedes Kierpacz
- Hamza Kurtović
- Vili Viorel Păun
- Fatih Saraçoğlu
- Ferhat Unvar
- Kaloyan Velkov
- Gabriele Rathjen
Zehn Menschen wurden ermordet, viele verletzt. Seine Opfer wählte der Attentäter gezielt aus – er wollte Menschen mit Migrationshintergrund töten. Bei einem der Todesopfer soll es sich um eine zweifache Mutter handeln. In seinem Manifest hatte er den Wunsch geäußert, bestimmte „Volksgruppen, Rassen oder Kulturen“ zu vernichten, deren Ausweisung aus Deutschland nicht mehr zu schaffen sei, und verbreitete Verschwörungstheorien. Warum er seine Mutter erschoss, bevor er sich selbst das Leben nahm, wissen wir nicht.
Diese Morde stehen in einer langen Kette von Anschlägen auf unser Zusammenleben. Von Höcke über Kassel und Halle nach Hanau geht der Weg von einer faschistisch geprägten Hetze gegen Menschen zum rechtsextremen mörderischen Terror. Der Rechtsextremismus droht immer mit dem Ausschluss von Gruppen aus der Gesellschaft. Der Faschist Björn Höcke, einer der führenden Repräsentanten der AfD, schrieb in einem langen Interview: „Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen.“ Er denke an einen “Aderlass”. Man werde, “so fürchte ich, nicht um eine Politik der ‘wohltemperierten Grausamkeit’ herumkommen.”
Den Worten folgen Taten. Der in den sozialen Medien tobende Hass findet immer häufiger den Weg aus dem virtuellen Raum in das reale Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Wie weit einzelne Täter besonders „verwirrt“ oder „krank“ erscheinen, spielt dabei keine Rolle und sollte auch nicht als beschwichtigende Verharmlosung durchgehen.
Rassisten, Antisemiten, Rechtsextremisten spalten die Gesellschaft, wo immer sie auftreten. Wir sehen das in Organisationen, in Kommunen, in Parteien und zuletzt im thüringischen Parlament. Sie säen Unfrieden, verbreiten Verschwörungstheorien und morden. Das fing nicht erst mit dem NSU an, schon Jahre vorher wurden Flüchtlingsunterkünfte angezündet, Obdachlose schwer verletzt oder totgeschlagen. Die Opfer sind Juden und Muslime, Christen und Konfessionslose, PolitikerInnen, die in ihren Kommunen für ein gutes Zusammenleben von Geflüchteten mit Einheimischen eintreten und standhaft gegen rechts auftreten.
Die Gefahr rechter Gewalttäter ist viel zu lange verharmlost worden. Bereits bei der Aufklärung der Morde des NSU ist die Chance vertan worden, die Netzwerke aufzudecken, auf die die Mörder sich stützen konnten. Es reicht nicht, Polizei, Verfassungsschutz und Justiz personell besser auszustatten – zumal auch in diesen Bereichen Rechtsextremisten entdeckt wurden, wenn auch zu spät.
Bildungsprojekte wie z.B. „Demokratie leben“ bekommen weniger Geld, gleichzeitig wird ständig die Bedeutung von Bildung in der Öffentlichkeit betont und trotzdem offensichtlich nicht ernst genommen. Kitas, Schulen, Freizeitmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sind unterausgestattet, Städte wie Bremen immer stärker gespalten in Arm und Reich – bei den politischen Absichtserklärungen folgen leider den Worten viel zu wenig Taten. Jedes Versäumnis in diesen Bereichen wird uns auf die Füsse fallen.
Geschichte wiederholt sich nicht eins zu eins. Aber wer das Programm der AfD liest und ihre öffentlichen Verlautbarungen aufmerksam verfolgt, kann der Erkenntnis nicht ausweichen, dass wir es hier mit einer modernisierten Wiederkehr der alten Naziideologie und Programmatik zu tun haben. Nicht zuletzt sehen wir das an den Auftritten in verschiedenen Parlamenten, am deutlichsten in Erfurt, wo die AfD-Fraktion das demokratisch-parlamentarische System bewusst ausgehebelt und verhöhnt hat.
(Sie setzt damit um, was Joseph Goebbels 1928 schrieb: „Wir gehen in den Reichstag hinein, um uns im Waffenarsenal der Demokratie mit deren eigenen Waffen zu versorgen. Wir werden Reichstagsabgeordnete, um die Weimarer Gesinnung mit ihrer eigenen Unterstützung lahmzulegen. Wenn die Demokratie so dumm ist, uns für diesen Bärendienst Freifahrkarten und Diäten zu geben, so ist das ihre eigene Sache. Wir zerbrechen uns darüber nicht den Kopf. Uns ist jedes gesetzliche Mittel recht, den Zustand von heute zu revolutionieren.“ )(meine Ergänzung am 23.2.2020)
Es macht Mut, gemeinsam hier zu stehen, es macht Mut, dass überall in Deutschland Tausende auf die Straße gehen. Unsere Trauer, unser Zorn, unser Entsetzen und unsere Angst müssen wir als Triebkraft nehmen, gegen jede Diskriminierung, jede hassgetränkte Äußerung, jede Aufforderung zu Gewalt und Vernichtung aufzustehen – im privaten und im öffentlichen Raum.
Wir dürfen den Feinden demokratischer Grundrechte nicht die Parlamente, die Straßen und Plätze überlassen. Jetzt ist es an der Zeit, der damaligen und heutigen Opfer zu gedenken und unsere Erkenntnisse in Handeln mit dem gemeinsamen Nenner umzusetzen: Kein Antisemitismus, kein Rassismus, keine Fremdenfeindlichkeit in Worpswede und anderswo! Auf dieser Basis lasst uns auch weiterhin zusammenstehen!