Der Rosa-Abraham-Platz mit Blumen, Lichtern und Plakaten als leuchtendes Feld der Erinnerung und des stillen Gedenkens:
Die ausgehängten Plakate vom Platz finden Sie hier: Plakatgalerie
Votrag und Diskussion in der Ratsdiele: Auschwitzbefreiung und transgenerationale Folgen von kollektiver Gewalt nach 1945 bis heute
Begrüßung (Dr. Almut Helvogt)
Im Namen der Initiative „Nie wieder! – Erinnern für die Zukunft – Gemeinsam gegen Rechts!“ begrüße ich Sie und euch herzlich in der Ratsdiele! Vielen Dank an die Gemeinde, dass wir den Raum hier nutzen dürfen.
Ich freue mich sehr, Lukas Welz hier begrüßen zu dürfen. Er ist Vorsitzender des Vorstands von AMCHA Deutschland e.V. und Geschäftsführender Leiter des Bundesverbandes der Psychosozialen Zentren für Überlebende von Krieg, Folter und Flucht. Lukas Welz wurde 1986 in Berlin geboren und hat Geschichte, Politik- und Verwaltungswissenschaften und Security Sector Management in Potsdam, Heidelberg sowie an der Defence Academy des Vereinigten Königreiches studiert. Er gehörte mehrere Jahre dem Vorstand der Deutsch-Israelischen Gesellschaft an und war Bundesvorsitzender es Jungen Forums der DIG.
AMCHA ist eine nicht-staatliche Organisation in Israel, die den Überlebenden der Shoah sowie deren nachfolgenden Generationen bei der Bewältigung ihrer Traumata zur Seite steht. Ich zitiere von der Internetseite von AMCHA Deutschland:
„amcha kommt aus dem Hebräischen und bedeutet sinngemäß: Du bist von uns. Es war zugleich ein Codewort unter jüdischen Verfolgten der Shoah, um einander zu erkennen. Damit drückt der Name aus, wofür AMCHA seit über 30 Jahren steht: Anerkennung des Leids, Solidarität mit den Überlebenden, Gemeinschaft zur Hilfe.
Gedenken, aber die Überlebenden nicht vergessen. Wir unterstützen seit 1988 die humanitäre Hilfe von AMCHA Israel und die öffentliche und fachliche Auseinandersetzung mit dem Holocaust, aber auch anderer kollektiver Gewalterfahrungen. Darüber hinaus beraten und vernetzen wir Akteure in diesen Themenfeldern.“ Zitat Ende.
Lukas Welz ist aus Berlin nach Worpswede gekommen, um uns heute über die Arbeit mit Überlebenden, deren Nachkommen und auch mit Opfern aktueller Gewalt zu berichten.
Zuvor wird Dr. Bernd Moldenhauer, Mitglied unserer Initiative, in das Thema transgenerationaler Folgen kollektiver Gewalt einführen.
Auf dem Tisch dort finde Sie unsere Spendenbox, in der wir erneut für AMCHA sammeln.
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Ich möchte kurz auf den heutigen Gedenktag eingehen. Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, in Deutschland seit 1996 ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag, eingeführt von dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog. Er ist als Jahrestag bezogen den Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau und der beiden anderen Konzentrationslager Auschwitz durch die Rote Armee 1945. Der Tag wurde von den Vereinten Nationen im Jahr 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt.
An diesem Tag gedenken wir aller Opfer des Nationalsozialismus:
- der europäischen Jüdinnen und Juden
- der sowjetischen Kriegsgefangenen
- der Sinti und Roma
- der Zeugen Jehovas
- der Opfer der Euthanasieprogramme
- der sogenannten „Asozialen“ und „Berufsverbrecher“
- der wegen ihrer Homosexualität verfolgten Männer und anderer Verfolgter sexueller Minderheiten, die der Bundestag in seinem heutigen Gedenken in den Mittelpunkt stellte.
Wir gedenken all‘ derer, die von den Nazis, ihren Mitläufer*innen und Helfershelfer*innen zu Feinden erklärt und verfolgt wurden.
Hier in Worpswede gedenken wir besonders der in den Lagern ermordeten Worpsweder Jüdinnen und Juden: der Schwestern der Familie Abraham: Johanne Sanders, ermordet in Treblinka, Sophie Schwabe und Merry Leeser, umgekommen in Theresienstadt. Wir gedenken ihrer Schwägerin Rosa Abraham, ermordet in Treblinka.
Wir denken an Walter Steinberg, einen Herrenschneider aus Bremen, der ein Sommerhaus in Worpswede an der Stelle der heutigen Polizeiwache hatte. Er wurde 1942 im überfüllten Viehwaggon nach Theresienstadt deportiert, wo er sich das Leben nimmt. Seine nichtjüdische Lebensgefährtin wurde nach Auschwitz deportiert.
Dieses Gedenken ist kein Selbstzweck. Wir gedenken, um daraus Konsequenzen für unser Handeln in der Gegenwart und Zukunft zu ziehen, wie auch im Namen unserer Initiative zu erkennen. Wenn wir uns die eben aufgezählten Opfergruppen ansehen, müssen wir feststellen, dass viele von ihnen bis heute in unserer Gesellschaft Diskriminierung erfahren. Und die Situation verschlechtert sich teils sogar wieder.
Über das „Wehret den Anfängen“ sind wir leider längst hinaus, spätestens, seit eine rechtsextreme Partei im Bundestag sitzt. Mit den sogenannten Querdenker*innen haben in den Pandemiejahren rechtsextreme Einstellungen und ein verstörendes Menschenbild Einzug in der Mitte der Gesellschaft gehalten. Wir als Initiative wollen auf diese Entwicklungen aufmerksam machen und uns ihnen entgegenstellen. Dabei stehen wir an der Seite aller Betroffenen rechtsextremer Gewalt. Heute Abend soll der Fokus auf den Überlebenden der Shoah, liegen und darauf, wir ihre Traumata über Generationen weitergegeben werden. Ich freue mich auf die beiden Vorträge zum Thema!
Einführung (Dr. Bernd Moldenhauser)
Der Anlass
Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch sowjetische Verbände.
Auschwitz ist zum Symbol für alle Konzentrationslager im Osten Europas geworden, wie Dachau für die Konzentrationslager auf deutschem Boden. Diese Namen stehen für das Grauen des nationalsozialistischen Terrors, bezeichnen aber nicht, welchen Umfang das Lagersystem hatte. Dachau war nur eines von vielen Konzentrationslagern auf deutschem Boden. Es gab etwa 1000 Lager und Außenlager. Karten der zeigen, dass in Deutschland niemand sehr weit von einem Konzentrationslager entfernt gewohnt hat. Die Schutzbehauptung, niemand habe etwas gewusst, erledigt sich mit einem Blick auf solche Karten. Das Regime hätte ohne dieses Wissen der Bevölkerung nicht bestehen können.
Konzentrationslager sind das schärfste Mittel, Menschen in ständiger Angst zu halten. Sie hatten außer der Terrorisierung weitere Zwecke, einer grausamer als der andere. Sie dienten der Vernichtung durch unmenschliche Arbeit, Hunger und Krankheiten, sie lieferten Menschenmaterial für die Versuche bestialisierter Mediziner und sie dienten der massenhaften sofortigen Ermordung. Es gab reine Tötungslager wie Maidanek und Treblinka, in denen die Deportierten nur Stunden zu leben hatten.
Auschwitz war alles: eine Fabrik der IG-Farben AG, ein Versuchslabor für Mengele und Konsorten und ein Vernichtungslager. Über eine Million Menschen waren in Auschwitz. „Knapp über 400.000 Häftlinge wurden registriert. die registrierten und mit Nummern gekennzeichneten Häftlinge und die unregistrierten Häftlinge, welche direkt nach der Ankunft ermordet wurden. Von den registrierten Häftlingen sind mehr als die Hälfte aufgrund der Arbeitsbedingungen, Hunger, Krankheiten, medizinischen Versuchen und Exekutionen gestorben.
Unter den insgesamt ca. 1,1 Millionen Toten waren 960.000 Juden, von denen 865.000 direkt nach der Ankunft im Lager ermordet wurden. Die Unterlagen zu den nicht registrierten Häftlingen sind bis auf drei Meldungen an das Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt vernichtet.“ (wikipedia)
In den Jahren 1940 bis 1945 wurden in die deutschen Konzentrationslager Auschwitz (Stammlager, Birkenau, Monowitz und deren Nebenlager) insgesamt ca. 1,3 Millionen Menschen deportiert, davon mindestens 1,1 Millionen Juden, 140.000 Polen, 20.000 Sinti und Roma sowie mehr als 10.000 sowjetische Kriegsgefangene und mehr als 10.000 Häftlinge anderer Nationalität.“ (wikipedia) Die russischen Truppen haben noch 7000 – 8000 Lebende angetroffen.
Das Schweigen der Täter
Nach der Niederlage der Nazis und der Befreiung ihrer Opfer brach das große Schweigen aus. Dass die Täter und alle, die Hitler begeistert unterstützt hatten, nichts über ihre Verbrechen hören wollten, liegt auf der Hand. Dieses Schweigen konnten die Täter eine Generation lang aufrecht erhalten. Die Nürnberger Prozesse trafen nur wenige Hauptverantwortliche, Anklagen gegen NS-Ärzte trafen auf die Empörung der Mediziner, die sich noch gegen die Feststellung ärztlicher Verbre-chen verwahrten. Juristen sind kaum zur Rechenschaft gezogen worden.
Weil es sich um politisch gerechtfertigte und von einer Autorität befohlene Untaten handelte, konnten die Täter und die Bevölkerung sich einreden, sie seien keine Verbrecher gewesen und wären daher berechtigt, ihr weiteres Leben ohne den Anflug eines Gefühls von Schuld fortzusetzen.
Ich bin in der Schule und später an Universitäten einigen begegnet, die Teil des NS-Regimes waren. Niemand von ihnen machte einen traumatisierten Eindruck. Im Gegenteil. die meisten Lehrer sahen sich vor und nach 1945 als Vaterlandsverteidiger, Nazigegner als Nestbeschmutzer.
Ich habe einen einzigen Menschen kennen gelernt, von dem man sagen könnte, dass er traumatisiert war. Er war Ingenieur gewesen und war als ehemaliger Nazi von Besatzungstruppen gezwungen worden, ein KZ „aufzuräumen“. Aufgrund dieser Eindrücke hat er sich, psychisch beschädigt, selbst zu einem Leben als Gleisarbeiter verurteilt. Einer seiner Söhne hat sich in jungen Jahren das Leben genommen. Alle anderen, die ich kannte, hatten keine Zweifel an sich und ihrer Vergangenheit.
Das Schweigen der Opfer
Der Unterschied zwischen dem moralischen Bewusstsein der Opfer und der Amoralität der Täter setzte sich nach der Befreiung fort. Es war und ist groteskerweise so, dass Schuld und Scham nicht von den Tätern empfunden wurden, sondern von den Opfern.
Vor einer Woche war der wichtigste ukrainische Historiker des Holocaust in Bremen – aufgrund des Krieges emigriert – und erzählte, er fühle sich bis zum heutigen Tag schuldig, weil er überlebt hatte und seine Verwandten nicht. Dieses Gefühl hat die meisten wohl nie verlassen.
Dass Täter Scham empfunden hätten über sich und ihr Treiben, habe ich nicht erlebt. Aber das Schweigen der Opfer ist ein Ausdruck ihrer Scham. Sie ist, wenn überhaupt, aus der Extremsituation der Inhaftierten zu verstehen. Im Konzentrationslager erfuhren sie täglich totale Gewalt und Entwürdigung und Mißachtung alles Menschlichen durch Menschen – jahrelang. Das Erleben, dass Menschen anderen so etwas Entsetzliches antun können, ist ein Grund für die tiefe Scham, die es den Opfern verbot, von sich zu sprechen. Sie konnten vor allem nicht mit ihren Kindern darüber reden, und die Kinder haben sie nicht fragen können. Erst in der Enkelgeneration ist dieses Schweigen aufgebrochen worden. Die Enkel haben gefragt und ihre Großeltern fingen an zu erzählen.
Trauma und Traumaforschung
Für die Überlebenden hörte der schwere Lebensweg mit der Befreiung nicht auf. Von sich hat einer von ihnen gesagt: wir waren befreit, aber nicht frei. Die seelische Verletzung, die Traumatisierung, ist kein einmaliger Vorgang, der, wie andere Wunden, mit der Zeit heilt. Sie setzte lange vor der Lagerhaft ein und ging nach ihrem Ende weiter über eine ganze Abfolge von Traumatisierungen: Leben im Versteck, Ghettoisierung, Lagerhaft, Heimatlosigkeit nach der Befreiung, Verlust fast aller Angehörigen, für die Überlebenden Kinder die Aufnahme in Pflegefamilien und Heimen.
Der Arzt, dem wir die ersten Erkenntnisse über dies Formen der Traumatisierung verdanken, war Hans Keilson (1909-2011), Sohn eines jüdischen Textilhändlers aus Freienwalde. Er emigrierte mit seiner Frau in die Niederlande, wo er Krieg und Besatzung im Untergrund überlebte. Nach der Befreiung der Niederlande gründete er eine Organisation für jüdische Waisenkinder aus Konzentrationslagern und Verstecken. Parallel zur therapeutischen Unterstützung führte er Untersuchungen an den Kindern und Jugendlichen durch, aus denen das Konzept der sequentiellen Traumatisierung entstanden ist. Keilson hat eine Vielzahl von Fällen dokumentiert, in denen Kinder und Jugendliche immer wieder in Lebenskrisen gerieten.
Die Traumatisierungen endeten nicht mit dem Leben derer, die sie unmittelbar erfahren haben. Auch ihre Kinder und Enkel waren und sind von den nicht zu verarbeitenden Erlebnissen ihrer Vorfahren betroffen. Das ist gemeint mit dem Begriff der generationenübergreifenden Traumatisierung.Dazu werden wir im Vortrag näheres hören.
Ich möchte abschließend nur auf einen Punkt aufmerksam machen: für die Menschheit war die Erfahrung mit dem nationalsozialistischen Grauen kein Grund, mit dem Einsperren und der Vertreibung von Unschuldigen, mit politisch motivierter Gewalt und Folter zu brechen. Wir haben seit vielen Jahren Geflüchtete aus Syrien, dem Iran und Afghanistan unter uns und seit einem Jahr Frauen und Kinder, die dem russischen Überfall auf die Ukraine entkommen konnten. Krieg, Flucht, Leben in der Fremde sind allesamt neue Ursachen von Traumatisierungen. An der Aktualität unseres Themas kann leider kein Zweifel bestehen.
Vortrag und Diskussion
Anschließenden hielt Lukas Welz, der Vorsitzenden von Amcha Deutschland e.V. einen Vortrag mit dem Titel „Folgen kollektiver Gewalt und die Arbeit mit Überlebenden, deren Nachkommen und mit Opfern aktueller Gewalt“
Gezeigt wurde während des Vortrages dieses Video: Leben nach dem Überleben. Überlebende des Holocaust in Israel
Anschießend entspannte sich unter den Teilnehmenden eine lebhafte Diskussion.