
Begrüßung und Moderation: Barbara Gottwald

Gedenkreden:
„Nie werden wir sie vergessen!“ – Verfolgte, entrechtete, ermordete Jüdinnen und Juden aus Worpswede und umzu. Die Lebens- und Leidensgeschichte des Ehepaars Goldberg aus Burgdamm
Pastor Jörn Contag
Überall im Reich sei die „Judenaktion“ tadellos verlaufen, konstatierte zufrieden Propagandaminister Joseph Goebbels. Das jüdische Ärzte-Ehepaar Adolph und Martha Goldberg aus Burgdamm gehörte zu den insgesamt fünf Menschen, die um den 9. November 1938 in Bremen von SA-Männern brutal gemeuchelt wurden.
Dr. Adolph Goldberg war der Sohn des Kaufmanns David Goldberg und seiner Ehefrau Caroline, geb. Goldberg. Er wuchs in Burgdamm, damals ein Ortsteil der preußischen Gemeinde Lesum, auf. Er besuchte die Realschule in Bremen-Vegesack und studierte u.a. in Göttingen Naturwissenschaften und Medizin. 1888 ließ er sich als Arzt in Burgdamm nieder. 1895 heiratete er Martha Sussmann, die Tochter des Kaufmanns Adolph Sussmann und seiner Ehefrau Bertha.
Die Arztpraxis der Goldbergs befand sich im Haus der Familie in der Bahnhofstraße 144. Das Ehepaar beschäftigte Haus- und Kindermädchen, und die Kinder erhielten Hausunterricht. Die Familie war in Lesum sehr anerkannt. Zu Dr. Goldbergs Berufserfolg trug seine Frau wesentlich bei. Martha Goldberg vermochte Haushalt, Familienleben und Mithilfe in der Arztpraxis geschickt zu koordinieren, wobei sie noch rege gesellschaftliche Kontakte pflegte. Die moderne, allem Neuen aufgeschlossene Frau unterstützte nicht zuletzt das soziale Engagement ihres Mannes. Häufig begleitete sie ihn bei Krankenbesuchen. Wie ihr Mann kümmerte auch sie sich um Bedürftige – überwiegend Arbeiter der Wollkämmerei und Wollwäscherei und ihre Familien. Sie bereitete zu Hause warme Speisen vor, die zu armen Patienten gebracht wurden. Für sie wurde, so hieß es „bei Doktors gekocht“. Während der Zeit der Weimarer Republik – insbesondere in der Zeit der Massenarbeitslosigkeit setzte die Familie ihre Unterstützung bedürftige Familien fort. Bereits um die Jahrhundertwende halfen die Goldbergs aus eigenen Mitteln notleidenden Menschen, insbesondere kinderreichen Familien. Während der Massenarbeitslosigkeit am Ende der Weimarer Republik kam ihre private Sozialfürsorge „ausgesteuerten“ Patienten ohne Krankenversicherung zugute, die der Arzt kostenlos behandelte.
Nicht weniger war Dr. Goldberg durch seine ärztliche Kunst, vor allem als Geburtshelfer, bekannt, für die ihm 1918 der Titel „Sanitätsrat“ verliehen wurde.
Das Ehepaar hatte drei Kinder, Gertrud und die Zwillinge Käthe und Kurt, deren zahlreiche Freunde bei ihnen ein- und ausgingen. Die Eltern pflegten ein herzliches Verhältnis zu ihren Nachbarn und den Familien ihrer Hausangestellten wie auch zu den Honoratioren Burgdamms. Umso bitterer mussten die Goldbergs Meidung und Verdrängung aus der Öffentlichkeit in der Nazizeit empfinden.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wirkte sich die antijüdischen Hetze gegen sie aus: Immer weniger Patienten suchten aus Angst vor den Nazis die Praxis auf. Ihre Tochter Gertrud Alice, die Krankenschwester geworden war, wanderte mit ihrem Ehemann Hans Friedmann nach Uruguay aus. 1937 emigrierte ihre Tochter Käthe nach Südafrika. Die Eltern folgten ihren Töchtern nicht, sie fühlten sich nicht gefährdet. 1938 wurde ihrem Mann die Approbation entzogen und er musste die Arztpraxis schließen. Das Ehepaar zog sich mehr und mehr zurück. Es wurde einsam um sie.
Auf Befehl des Lesumer SA-Führers machte sich a. 10. November „gegen 5.00 Uhr morgens ein Trupp auf zu der Gemeinde Burgdamm. Unterwegs in der Dunkelheit wurde gemunkelt, der in der Bremerhavener Heerstrase wohnende Sanitätsrat Dr. Goldberg solle im Rahmen einer „Judenaktion“ erschossen werden. Drei Mann verschafften sich schließlich durch Klingeln und Klopfen Einlass, da die Mitbewohnerin an einen Notfall für den Arzt dachten und die Eindringlinge auch wie befohlen in Zivil erschienen waren.
Als die Eheleute im Nachtzeug an der Schlafzimmertür erschienen, ging der Anführer zurück auf die Straße und befahl die vier anderen SA-Leute ins Haus. Während diese sich in der Wohnung aufstellten, begaben sich die anderen drei ins Schlafzimmer des Ehepaares. Hier schoss einer – 53 Jahre alt und von Beruf Schiffsingenieur – ohne weitere Worte auf den Arzt, der hilflos dastand, streifte aber nur sein Bein. „Da zeigte der alte Mann auf sein Herz und forderte den Schützen auf, dorthin zu schießen. Der tat das, und Dr. Goldberg fiel tot zu Boden. Auch Frau Goldberg sagte noch: Wenn Sie schon schießen, dann schießen Sie richtig‘, bevor sie von gleicher Hand wie ihr Mann getötet wurde.“
Nach Kriegsende wurde 1948 gegen Köster und Frühling u.a. ein Prozess geführt. Einer der Mörder, Köster, kam schon nach fünf Jahren frei, ein anderer, Röschmann, wurde nur zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, da das Gericht in der Tat das Mordmerkmal „Überlegung“ (heute: Vorsatz) nicht erkennen konnte.
Im Bremer Stadtteil Burglesum ist ein Platz mit einem Gedenkstein als „Goldberg-Platz“ benannt. An der Bremerhavener Heerstraße 18, wo das Wohnhaus mit der Arztpraxis stand, liegen zwei „Stolpersteine“.

9. November 1938 – Was geschah in den Tagen nach dem Novemberpogrom?
Dr. Harro Jenss
Bis zum 7. Oktober konnte ich mir nicht vorstellen, in welchem Kontext wir heute an den 9. Nov. 1938 erinnern. Angesichts der Situation in Israel nach dem unvorstellbaren Hamas-Terror und bei dem öffentlich sichtbaren Antisemitismus weltweit empfinde ich Hilf- und Ratlosigkeit. Diese Ratlsoigkeit bezieht sich auch auf all’ der Erinnerungs- und Aufklärungsarbeit seit vielen Jahren. Auf der anderen Seite denke ich: Erinnerung an die deutschen Verbrechen seit 1933 gegenüber den Jüdinnen und Juden: jetzt erst recht –immer und immer wieder, diese Erinnerung in welcher Form auch immer ist notwendiger denn je.
Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten im Januar 1933 gab es in Deutschland bereits seit dem Frühjahr 1933 eine staatlich verordnete systematische Diskriminierung der Jüdinnen und Juden. Dem Boykott der jüdischen Ärzte und Rechtsanwälte sowie jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 folgten im September 1935 die sogenannten Rassengesetze, euphemistisch Nürnberger Gesetze genannt, die in Deutschland den Antisemitismus gesetzlich verordneten.
Mit dem 9. November 1938 begann öffentlich, für alle sichtbar mit den brennenden Synagogen die systematische Verfolgung und Vertreibung der Jüdinnen und Juden – bis zum millionenfachen Mord.
Noch während der Nacht des Pogroms und kurz danach wurden etwa 30 000 Juden in sog. Schutzhaft genommen und in die Konzentrationslager Sachsenhausen, Buchenwald, Dachau verschleppt. Juden aus allen Schichten der Bevölkerung, übrigens auch zahlreiche Mediziner, wurden vollkommen willkürlich im Zusammenhang mit dem Pogrom inhaftiert. Sie waren sie Misshandlungen, Schikanen, Demütigungen ausgesetzt. Die meisten wurden im Dezember 1938 aus den KZ entlassen – mit der Aufforderung und Auflage, Deutschland zu verlassen. Viele flohen Anfang 1939. Es kam zu einer weiteren großen Fluchtwelle aus Deutschland. Schon Ende September 1938 war den jüdischen Ärztinnen und Ärzte die ärztliche Bestallung und damit ihre Tätigkeit entzogen worden – sie waren ohne damit Existenzgrundlage.
Nach dem 9. November wurden endgültig alle jüdischen Vereine verboten, auch die jüdischen Turn- und Sportvereine. Sie verloren den Zugang zu ihren Gebäuden und sie verloren das Vereinsvermögen.
Am 12. November 1938 fand in Berlin unter Leitung Hermann Görings eine Sitzung mit dem Ziel statt, die Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vollständig auszuschalten und ihnen ihr Eigentum zu nehmen. Ihre Häuser und Grundstücke wurden – wenn nicht bereits geschehen – „arisiert“. Die Verordnung hieß tatäschlich so: „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“. Die jüdischen Betriebe mussten sämtlich
aufgegeben werden.
Göring forderte zudem eine sogenannte „Sühneleistung“ von 1 Milliarde Reichsmark für die angeblich feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Staat. Am 12. November 1938 wurde die „Verordnung über eine Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ erlassen. Bei dieser sog. Judenvermögensabgabe handelte sich um eine willkürliche Sonderabgabe. Es war faktisch die finanzielle Ausplünderung der Jüdinnen und Juden zugunsten der deutschen Staatskasse.
Weniger als ein Jahr nach dem 9. Nov. 1938 begannen im Oktober 1939 die ersten Deportationen in den Osten….

Und heute? Zunahme von Antisemitismus und Rechtsextremismus, Angriffe auf den Rechtsstaat und die Demokratie, Krieg in Europa… Zivilcourage und Gegenwehr
Katharina Hanstein-Moldenhauer
Der Name unserer Initiative sagt es: wir erinnern, damit die Vergangenheit und mit ihr die Verantwortung dafür, dass nie wieder ein faschistisches Regime an die Macht kommt, nicht im Nebel des Vergessens verschwindet. Auch die gegenwärtigen Gräuel und Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten können dazu beitragen, über der Gegenwart die Lehren der Vergangenheit zu verdrängen.
Nicht nur an den notwendigen offiziellen Gedenktagen erinnern wir an die vertriebenen und ermordeten Juden und Jüdinnen und alle Opfer des Naziregimes und seiner Mitläufer und Mitläuferinnen.
Das ganze Jahr über werden unsere Aktivitäten von diesem Gedenken getragen, von dem Erinnern für die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft. Die enorme Zustimmung zur AfD als rechter Partei, die in manchen Bundesländern vom VS als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird, lässt unser NIE WIEDER zwar weiter als Hoffnung und Forderung bestehen, aber nicht als Zustandsbeschreibung unserer aktuellen politischen Verhältnisse. Auch die immer wieder in offiziellen Gedenkreden formulierte Behauptung „Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz!“ bleibt solange hohl, wie von Regierungsseite Gelder gekürzt werden für politische Bildung und antifaschistische Projekte in Schulen, auf dem Land usw. und die Hamas auf unseren Straßen öffentlich bejubelt werden kann. NIE WIEDER bedeutet auch, Antisemitismus zu benennen und dagegen anzugehen, wo immer er sich in unserer Gesellschaft zeigt.
Gedenken und Erinnern heißt für uns auch, Erklärungen zu finden und aufzuklären über das Ausmaß an Unmenschlichkeit und den Zivilisationsbruch in den Jahren 1933-1945. Und wir wollen zu Gegenwehr ermutigen.
Seit dem 24.2.2022 positionieren wir uns aktiv gegen den russischen Angriffskrieg und fordern den sofortigen Rückzug aller Truppen des Aggressors aus der Ukraine. Wir stehen solidarisch an der Seite der ukainischen Bevölkerung, der ukrainischen Geflüchteten und denen aus anderen Ländern, aus denen sie wegen Terror, Krieg, Hunger und Durst flüchten mussten. Folie 18 Unser Mitgefühl gilt ihnen allen, egal aus welchem Land sie kommen. Auch in diesem Jahr sammeln wir für AMCHA, das Geld kommt speziell den ukrainischen Überlebenden der Shoa zugute.
Erschüttert lesen und sehen wir die Nachrichten über den Terror und die Massaker der Hamas in Israel am 7.10.2023. Seit der Shoa wurden an einem Tag noch nie so viele Jüdinnen und Juden ermordet. 239 Geiseln wurden von der Hamas entführt.
Es würde heute Abend zu weit führen, eine Analyse der Folgen dieser Kriegserklärung der Hamas an Israel – und damit faktisch auch an die eigene Bevölkerung im Gazastreifen – vorzutragen. Nur einige fragen drängen sich mir auf: Wie kann ein Land sein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung umsetzen, ohne die Zivilbevölkerung zu treffen, wenn der entmenschte Aggressor die von ihm beherrschte Bevölkerung als Schutzschild gegen Angriffe auf seine Kommandozentralen und Waffenlager in seinen Tunneln benutzt? Wenn er nicht bereit ist, die 240 Geiseln freizulassen, sondern sie in seinem unterirdischen Tunnelsystem gefangenhält und eventuell ermordet? In einem Tunnelsystem von 500 km Länge – unter Krankenhäusern, Wohnhäusern, Kindergärten, Schulen?
Wir möchten auf die ersten Überlegungen zu diesem Krieg auf unserer website erinnern-worpswede.de verweisen und auf die Ausgabe des OHZ-Anzeigers vom 4.11.23.
In mehreren Artikeln zu dem Schwerpunktthema „Nie wieder Auschwitz!“ werden dort Stimmen aus dem Landkreis wiedergegeben, der historische Hintergrund der Hamas beleuchtet und auch die Forderungen unserer Initiative an die Bundesregierung genannt.
Es ist bemerkens- und dankenswert, dass ein lokaler Anzeiger sich politisch dermaßen klar gegen Antisemitismus und Terror positioniert.
Hier wollen wir nur noch festhalten: Die sofortige Freilassung der Geiseln – und auf dieser Grundlage bietet die israelische Regierung eine Feuerpause an – , ebenso wie sichere Fluchtkorridore und gezielte humanitäre Hilfen sind das Gebot der Stunde, vor allem aber eine zwischen Israel und den Palästinensern im Einvernehmen beschlossene Grundlage für ein friedliches Zusammenleben. Mit einer Terrororganisation wie der Hamas, unter der auch seit Jahrzehnten die eigene Bevölkerung, vor allem die Frauen und Oppositionelle leiden, wird das nicht möglich sein. Die Voraussetzung für Frieden ist die seit 1948 ausstehende Anerkennung des Existenzrechts Israels durch die palästinensischen Regierung und die arabischen Staaten. Dafür ist eine Kapitulation der Hamas unabdingbar. Ohne das Massaker der Hamas, den Mord an 1400 Zivilist*innen und die Entführung von 140 Geiseln würden die Opfer auf beiden Seiten noch leben.
Nach dem Massaker der Hamas in Israel und der Eskalation des Krieges leben Juden und Jüdinnen weltweit in Angst. Die Zahl der antisemitischen Bedrohungen und Angriffe in Deutschland und auf der ganzen Welt wächst.
Wir erleben, dass die Einschätzungen dieses von der Hamas begonnenen Kriegs fortschrittliche Bewegungen spaltet, dem eliminatorischen Antisemitismus Auftrieb gibt wie seit Jahrzenten nicht mehr und sogar in manchen Kundgebungen, Resolutionen und Demonstrationen dazu führt, das Massaker der Hamas als Kriegsursache nicht mehr zu erwähnen oder sogar zu verherrlichen als Befreiungstat. Aber wir werden trotzdem nicht die in Deutschland lebenden Menschen mit palästinensischen Wurzeln einfach mit der Hamas gleichsetzen, auch wenn die antisemitischen Ausschreitungen durch Hamasanhänger und -anhängerinnen in den letzten Wochen dazu verleiten könnten.
Wir gedenken und lernen aus dem, was in den Jahren 1933-45 Humanität und Demokratie vernichtet hat, um nicht dieselben Fehler noch einmal zu machen. Mit großer Sorge sehen wir, wie die extreme Rechte und mit ihr der Antisemitismus stärker werden. Ein Indikator dafür sind die Wahlerfolge der AfD in Hessen und Bayern und die Zunahme an Zustimmung für sie in Umfragen.
Das Muster ist seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts immer das gleiche: Wut und Ressentiment gegen die sogenannten Eliten und alles, was fremd ist oder fremd erscheint, der Wunsch nach einer Führergestalt und die Abschaffung des Rechtsstaats als erster Schritt. Und in keiner extrem rechten Bewegung fehlen die Juden als Sündenböcke für alles und jedes.
Da wir die Strategien der Nazis, um an die Macht zu kommen und sie zu erhalten, kennen, können wir einschätzen, was mit der weiter zunehmenden rechten Bewegung auf uns alle zukommt.
„Wir haben schon bei Staaten mit demokratischen Wahlen gesehen: Man braucht keinen Putsch, um die Demokratie zu beschädigen oder gar abzuschaffen. Wenn Mehrheiten für rechtsradikale und populistische Parteien stimmen, kann die liberale Demokratie ganz demokratisch bei Wahlen abgeschafft werden. Und Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Minderheitenschutz können durch Mehrheitsbeschlüsse fallen.“ (Joachim Gauck)
Heribert Prantl schrieb in der SZ v. 27.10.23: „An der Spitze der Werte im Grundgesetz steht die Unanstastbarkeit der Menschenwürde. Wenn eine politische Partei diese Werte verachtet und verhöhnt, wenn sie die Menschenwürde ethnisch definiert, wenn sie Feindschaft sät, Hass und Rassismus predigt – dann ist sie keine demokratische Partei. Die AfD ist keine demokratische Partei.“
Getrieben werden rechte Bewegungen von dem Wunsch nach Zerstörung – der 9. November 1938 ließ daran keinen Zweifel -, und sie enden in totaler Zerstörung.
Der Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und die Innenministerin von Niedersachsen Daniela Behrens bezeichneten daher den Rechtsextremismus als größte Gefahr für unsere Demokratie, eine Gefahr, die nicht auf Deutschland beschränkt ist, sondern sich in ganz Europa und auch auf anderen Kontinenten ausbreitet.
In Niedersachsen existiert eine Mischszene aus Reichsbürger*innen, Verschwörungsgläubigen, AfD-Mitgliedern und -Wähler*innen, Anhänger*innen anderer extremer rechter Parteien wie „Die Heimat“ (vormals NPD), „Der Dritte Weg“ und Organisationen wie z.B. der „Anastasia-Bewegung“ u.a.
Die Mischszene wird geeint durch Ideologien von völkischem Denken, Autoritarismus, Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und Queerfeindlichkeit.
Nicht mehr die Anti-Corona-Maßnahmen, sondern der Ukraine-Krieg, die Preissteigerungen, die Maßnahmen gegen die Klimakrise und die Hetze gegen Geflüchtete und Migrant*innen sind Themen, über die das demokratische System diskreditiert werden soll.
Appelle nützen nichts, wenn Affekte herrschen. Man kann sie aber aufhalten. Vor der Eroberung des Staatsapparats und seiner Gewaltmittel sind extreme Rechte immer in der Minderheit. Mehr als 30 % haben sie zunächst selten. Ihnen steht eine Mehrheit von 70 % der Wähler und Wählerinnen gegenüber. Wenn sich diese Mehrheit spalten lässt, ist der Weg für die extreme Rechte frei, zuerst über Koalitionen mit Parteien, die sich als konservativ verstehen, dann über deren Ausschaltung zu totaler Herrschaft. Daher kommt es auf alle anderen, besonders aber auf die Parteien an, die sich in „der Mitte“ einordnen. Ohne sie haben radikale Rechte keine Chance, mit ihnen haben auch Konservative keine Chancen mehr.
Das Wissen um den 9. November 1938 hat uns allen klargemacht, worauf die Politik der Nationalsozialisten abzielte, die Vorgeschichte hat gezeigt, dass diese Entwicklung nicht unaufhaltsam gewesen wäre. Wenn alle, die am Rechtsstaat, an der Verfassung und an den Menschenrechten hängen, sich nicht spalten lassen, kann eine Wiederholung verhindert werden.
In Niedersachsen wie in allen anderen Bundesländern gibt es Bündnisse, Projekte und Initiativen, die wie wir hier in Worpswede über die rechte Szene aufklären und dagegen angehen. Das macht Mut.
Zur Zeit eint uns die Sorge, dass sich die damaligen politischen Verhältnisse wiederholen könnten.
Gerade in diesen Zeiten dürfen Gelder für den Kampf gegen Rechts, gegen Antisemitismus und Rassismus nicht gekürzt werden, müssen politische Bildung, entsprechende Projekte an Schulen finanziell unterstützt werden u.ä. Aufklärung über den Nationalsozialismus, heutiges jüdisches Leben, über Antisemitismus und der ihm innewohnenden Gewalt, Aufklärung über die tatsächlichen Ziele der AfD und anderer rechten bzw. extrem rechten Organisationen muss selbstverständlicher Teil von Unterricht und Lehrer*innenausbildung sein, von öffentlichen Diskussionen, von Berichten in allen Medien. Zivilgesellschaftliche Organisationen, Bündnisse, Projekte und Initiativen müssen sich auch auf staatliche Unterstützung verlassen können. Wir wissen, wie wichtig es ist, Jugendliche mit diesen Themen zu erreichen, aber wir erleben auch, wie schwierig das ist. Wir brauchen gute Ideen, deren Finanzierung und tragfähige Verbindungen zu Schulen und Freizeiteinrichtungen.
In Worpswede haben wir aktuell die konkrete Befürchtung, dass auch unsere Gemeinde in den Fokus rechter „Interessen und Begehrlichkeiten“ gerät. Deshalb rufen wir zu einem Zusammenschluss „Kein Platz für Nazis in Worpswede“ in allen acht Ortschaften der Gemeinde Worpswede auf. Bisher wurde unser Flyer von 47 Organisationen unterzeichnet. Denn nicht nur demokratische Parteien, sondern auch andere Organisationen und vor allem Vereine tragen wesentlich zum gesellschaftlichen Zusammenhalt in Worpswede bei. Diesen Informationsflyer werden wir in der Bevölkerung online und gedruckt verteilen, um Aufmerksamkeit für dieses Thema zu schaffen.
Wir freuen uns besonders über die Unterstützung der Gruppe „Worpswede gegen Rechts“ und möchten hier für die gute Zusammenarbeit danken. Ebenso ist die „Mobile Beratungsstelle gegen Antisemitismus für Demokratie Niedersachsen“ eine unverzichtbare Institution in der Analyse und Abwehr gegen die rechte Szene. Auch ihr gebührt unser Dank. Und wir danken der lokalen Presse, die immer wieder auf unsere Veranstaltungen hinweist und darüber berichtet.
Uns allen möchte ich zum Abschluss sagen:
Wir dürfen uns nicht spalten lassen. Der Rechtsstaat und die demokratischen Freiheiten müssen erhalten bleiben.
Wir müssen alle zusammenstehen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit.
Solange werden wir die Mehrheit bleiben.
Einen Dank an Euch Alle, dass wir hier zusammen der Opfer des Naziregimes gedenken können.

Persönliche Erinnerungen
Ian Bild
Mein Vater starb im März diesen Jahres im Alter von 96 Jahren in Herzlia, Israel. Andere Mitglieder meiner nahen Familie und ich waren dabei, als er friedlich verstarb – ein Segen. Ich sagte Kaddisch bei seiner Beerdigung und seiner Grabsteinlegung. Das Kaddisch ist eines der bekanntesten Gebete im Judentum – es wird in Gedenken an Verstorbene gesprochen. Es ist in Aramäisch geschrieben, der Umgangssprache von Juden in biblischen Zeiten.
Mein Vater zog 2006 zusammen mit meiner Mutter von London nach Israel, nicht zuletzt, um meiner Schwester und ihrer Familie nahe zu sein, die in einem Kibbuz in der Nähe von Haifa leben.
Gehen wir noch ein Schritt weiter zurück. Meine Urgroßeltern sind in den 1890er Jahren nach London gezogen, um der Armut und den Pogromen in Osteuropa zu entkommen. Das East End von London wurde ihre neue Heimat. Sie wurden Teil des Londoner Lebens, doch die Bedrohungen blieben bestehen. In den 1930er Jahren entstanden, wie in Deutschland, faschistische Bewegungen, – in Großbritannien The British Union of Fascists unter Oswald Mosley.
Mein Vater war erst 10 Jahre alt, als die Faschisten versuchten durch das East End von London zu marschieren, wo viele Juden lebten. Er war dabei als der Marsch der Faschisten / – am Sonntag de 4en Oktober 1936 in Cable Street / – von Männern & Frauen aus Gewerkschaften, politische Bewegungen und der jüdischen Gemeinschaft gestoppt wurde. Für Mosely und seine faschistische Partei war es ein Debakel, von dem sie sich nie mehr erholten. Mein Vater hat nie vergessen, dass der Widerstand dazu beigetragen hat, Großbritannien vor der Bedrohung durch die Faschisten zu retten. Er, David Bild, blieb sein ganzes Leben-lang ein Kämpfer für Gerechtigkeit.
Viel später in Israel war er kein Freund der Netanjahu-Regierung.
Mein Vater wäre über den mörderischen Angriff der Hamas am 7. Oktober dieses Jahres entsetzt gewesen, aber auch über die schockierenden Zustände in Gaza.
Seine eigenen Erfahrungen mit der palästinensischen Bevölkerung waren eher positiv. In vielen israelischen Krankenhäusern arbeiten, trotz aller Probleme, jüdische und palästinensische Ärzte und Krankenschwestern Seite an Seite.
Einige Jahre vor seinem Tod befand sich mein Vater im Krankenhaus, wo er erfolgreich operiert wurde. Er wurde so liebevoll von einer palästinensischen Krankenschwester gepflegt, dass er ihr sogar eins seiner selbst gemalten Bildern geschenkt hat. Er hätte jetzt, trotz allem, positiv in die Zukunft geblickt und auf eine gerechte, friedliche Lösung zwischen Israelis und Palästinensern gehofft.
Mein Vater war ein Friedensstifter, aber auch, wenn nötig, wegen seiner Kindheitserfahrungen, ein Kämpfer und Widerständler.
In Deutschland in den 30. Jahren scheiterte der Widerstand. Juden, und andere Minderheiten, wurden von den Nazis ins Exil gezwungen, verhaftet und massenhaft ermordet.
Nicht zu vergessen: Wir stehen hier auf einem Stuck Land, dass frühe im Besitz von Rosa Abraham war.
Sie hat in diesem Haus hinter mir gelebt. Nur weil sie Jüdin war, wurde sie nach Theresienstadt verschleppt und am 23en 9en 1942 in Treblinka ermordet.
Wir, die jetzt in Deutschland leben, dürfen den Holocaust nie vergessen und dazu müssen wir gegen die heutige wachsende Bedrohung durch den Rechtsextremismus, Widerstand leisten. Unsere Botschaft ist und bleibt – Nie wieder.
Und jetzt spreche ich im Gedenken am Rosa Abraham das Kaddisch:
