8. Mai 2024 – Gedenken zum Tag der Befreiung

Begrüßung

Jochen Semken

Ich begrüße Sie alle hier im Namen der Initiative Nie Wieder – Erinnern für die Zukunft – Gemeinsam gegen rechts

Wir Gedenken heute des Endes des 2. Weltkrieges vor 79 Jahren und an die Befreiung von der Nazi-Diktatur und von Verfolgung, Terror und Willkür.

Es gab und gibt immer noch Stimmen die fordern, dass es doch endlich Zeit wäre, das Erinnern an die Judenverfolgung und an das dritte Reich nicht ständig in den Mittelpunkt zu stellen.

  • Wir müssen mehr an heute denken, es ist doch jetzt eine völlig andere Zeit.
  • Wir haben doch inzwischen schon lange stabile demokratische Verhältnisse.
  • Und auch das Vogelschißzitat fällt mir dazu reflexartig wieder ein.

Ich dagegen glaube, dass es jetzt, dass es gerade heute, wo wir feststellen,

  • dass die Rechte immer stärker wird und die Anzahl der rechtsextremen Straftaten jährlich bedrohlich steigen,
  • dass wir von Kriegsfähigkeit Deutschlands reden,
  • dass Politiker und Politikerinnen auch körperlich angegriffen werden,
  • dass Antisemitismus trotz unserer schrecklichen Vergangenheit auch in Deutschland immer deutlicher zu Tage tritt,
  • dass es jetzt, heute, umso wichtiger ist, die Erinnerung an Verfolgung, Krieg, Not und Elend wachzuhalten und uns allen als Mahnung immer wieder vor Augen zu führen.

Deshalb stehen wir hier heute am 8. Mai 2024.

Und wir werden auch wieder am 9. November jeden Jahres hier stehen um der Reichspogromnacht zu gedenken

und wir werden auch wieder am 27. Januar hier stehen, um der Befreiung von Auschwitz zu gedenken.

Heute ist es deutlicher denn je: Es darf keine Verdrängung und kein Vergessen geben!!!

Grußwort von Elvira Noa, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Bremen

Verlesen von Katharina Hanstein-Moldenhauer

Verehrte Anwesende,

auch wenn ich nicht persönlich anwesend sein kann, möchte ich Sie dennoch herzlich begrüßen zu der so wichtigen Veranstaltung zum Gedenken an den 8. Mai 1945, dem Tag der Befreiung von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Denn es ist mir wichtig zu sagen, wie sehr ich Ihr Engagement schätze und dankbar bin für Ihre Bereitschaft, sich immer wieder gegen rechtspopulistische, neonazistische Aktionen, die das „Nie wieder“ in ein „Schon wieder“ aufs Brutalste verkehren, einzusetzen.

Wir wissen alle, wie stark der Antisemitismus nach dem 7. Oktober – dem Massaker der Terrororganisation Hamas an über Tausend israelischen Frauen, Kindern, Männern – hier in Deutschland und überall in der Welt angestiegen ist. … Fremdenfeindlichkeit und Rassismus machen sich breit, die Küngelei der AFD mit extremen Rechten ist ein erschreckendes Zeichen, wie stark tatsächlich unsere Demokratie gefährdet ist.

Doch es gibt auch Hoffnung: die Abertausenden, die dagegen auf die Straße gegangen sind, beweisen, dass wir durch das Gedenken an die Schrecken der Vergangenheit ein Bewusstsein geschaffen haben, so etwas nicht und nie mehr hinzunehmen. Wir dürfen niemals aufhören, nicht schweigen, sondern den Finger in die Wunde legen!

Denn würden wir der bequemen Versuchung nachgeben, sich nicht mehr an das erinnern zu wollen, was Deutsche nach 1933 und vor allem im Zweiten Weltkrieg an Schuld auf sich geladen haben, wir würden und werden immer wieder damit konfrontiert, dass die Nachfahren der Opfer, die noch wenigen Überlebenden sowie das kollektive Bewusstsein ganzer, vor allem osteuropäischer Nationen diese Geschichte nicht vergessen können.

Nein, die heutige Generation ist nicht schuldig, aber sie hat Verantwortung für das, was im hier und jetzt geschieht. Wer diese Verantwortung nicht erträgt, wer einen Schlussstrich fordert, der verdrängt nicht nur die Katastrophe der NS – Diktatur, ihrer europaweiten Verbrechen und des Holocausts, der entwertet auch all das Positive, das wir seither, seit der Befreiung am 8. Mai 1945, mit Hilfe der Alliierten errungen haben – der verleugnet sogar den Wesenskern der Demokratie.

Ein berühmter Rabbi, Rabbi Nachman, hat gesagt:
„Kein Herz ist so ganz wie ein gebrochenes Herz“.
Erst wenn wir die extremen Brüche unserer Geschichte offenen Auges gewärtigen, zu ihnen stehen, hinschauen und das „Nie wieder“ brüllen da, wo es nötig ist, und es unbedingt in die Tat umsetzen – erst dann zeigen wir Herz, ganzes Herz im wahrsten Sinne des Wortes von Rabbi Nachman.

In diesem Sinne auch schätze ich Ihr dankenswertes Engagement und das vieler weiterer Vereinigungen … . Sie organisieren Veranstaltungsreihen zum 27. Januar, zum 9. November, zum 8. Mai. Sie errichten Denkorte, sie suchen mühsam nach Überlebenden der Shoah, die in hohem Alter noch in Schulen gehen, um dem erlebten, unvorstellbaren Leid und den Toten eine authentische, mahnende Stimme zu geben, junge Menschen dadurch für die Gestaltung einer besseren Zukunft zu ermutigen.

Erinnern Sie sich aber auch an die Zeit der Pandemie: ein gefährlicher Virus ist über die Menschheit gekommen, kein Krieg, keine Scharmützel, kein Waffengang, nur ein Virus, an dessen Folgen Millionen Menschen gestorben sind.

Erinnern Sie sich aber auch an gefährliche Verschwörungstheorien im Netz in dieser Zeit. Man suchte Schuldige: es seien natürlich die Juden, wie seit Jahrtausenden gewohnt, es seien die Juden schuld an allem Unheil der Welt – und schon wieder – seien ausschließlich die Juden schuld am Gazakrieg, nicht die Hamas. Das Verwaltungsgericht Bremen hat es kürzlich bestätigt, dass solcherart Parolen zum Gazakrieg als sogenannte Meinungsäußerung erlaubt seien.

Ernst Cassirer, ein deutsch-jüdischer Philosoph des letzten Jahrhunderts, hat in einem seiner Essays zu dem Thema Verschwörungstheorien geschrieben: „In der Politik leben wir auf vulkanischem Boden. Wir müssen auf abrupte Konvulsionen und Ausbrüche vorbereitet sein. In allen kritischen Augenblicken des sozialen Lebens…sind die rationalen Kräfte, die dem Wiedererwachen der alten mythischen Vorstellungen Widerstand leisten, ihrer selbst nicht mehr sicher. In diesen Momenten ist die Zeit für den Mythos wieder gekommen. Denn der Mythos ist nicht wirklich besiegt und unterdrückt worden. Er ist immer da, versteckt im Dunkel, auf seine Stunde und Gelegenheit wartend. Diese Stunde kommt, sobald die bindenden Kräfte im sozialen Leben des Menschen aus dem einen oder anderen Grunde ihre Kraft verlieren und nicht länger imstande sind, die dämonischen Kräfte zu bändigen“.

Bleiben Sie stark! Angesichts der offensichtlich erschreckend salonfähig gewordenen Menschenfeindlichkeit, von Antisemitismus und Hass sind die Worte von Cassirer aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts von beklemmender Aktualität. Sie mahnen uns, zu jeder Zeit dem ersten Satz unseres Grundgesetzes gerecht zu werden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Manchmal, so scheint mir, ist dieser Satz nur ein Wunsch, eine Illusion, wie es auch in einem Gedicht eines Holocaustüberlebenden ausgedrückt ist. Ich zitiere:

„Jahre sind nur Maß der Zeit
Gott prüft anders unser Leben
Ob ungeteilte Menschlichkeit
Wir selbstlos allen Menschen geben“

Aber warum sollen Träume nicht Wirklichkeit werden können? Kämpfen wir dafür!

Ich danke Ihnen,
Elvira Noa

Gedenkrede

Dr. Harro Jenss

„ Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!

Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?“

Bertolt Brecht, 1938 , An die Nachgeborenen I ( Svendborger Gedichte ), erstmals publiziert 1939 ( in: Die neue Weltbühne, Paris )

„Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die
Gegenwart. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen“
, Richard v Weiszäcker am 8. Mai 1985

Was bereits 1985 längst überfällig war und was für uns so selbstverständlich ist, ist heute überhaupt nicht mehr selbstverständlich. Die Zahl der Leugner unserer Geschichte nimmt zu, der Antisemitismus nimmt zu , Gewalttaten nehmen zu.

Der 8. Mai 1945 war eine Befreiung in des Wortes weitester Bedeutung.

Der 8. Mai 1945 war Befreiung von der NS-Diktatur, von brutaler Verfolgung und Vernichtung, Befreiung von unvorstellbarem Terror.

Der 8. Mai 1945 war für viele europäische Staaten Befreiung von deutscher Herrschaft und Massenverbrechen.

Der 8. Mai 1945 beendete sinnloses millionenfaches Sterben….

Diese Befreiung von der NS-Diktatur war nur möglich durch ein sehr breites Bündnis der alliierten Staaten, die sich in der Abwehr des Hitler-Regimes einig waren – Die Alliierten haben dafür unendlich viele Opfer erlitten.

Der 8. Mai 1945 war – mitten im unvorstellbaren Elend – ein Tag der Hoffnung, der Träume, neuer Pläne – trotz aller Geschichte.

Von dieser Hoffnung, von diesen Träumen soll hier die Rede sein. Am 25. April 1945 trafen sich bei Torgau amerikanische und sowjetische Soldaten:

Joe Polowsky, ein amerikanischer Soldat aus Chicago, schrieb darüber:

„ In diesem historischen Augenblick des Treffens zweier Nationen schworen alle anwesenden Soldaten feierlich – einfache Soldaten, Amerikaner und Russen – dass sie alles in ihren Kräften Stehende tun würden, damit so etwas nie wieder auf der Welt geschehe. Wir versprachen einander, dass die Nationen der Erde in Frieden leben sollten und müssten. Das war unser „Schwur an der Elbe“. — Es war ein sehr zwangloser, aber auch feierlicher Augenblick. Den meisten standen Tränen in den Augen. Vielleicht hatten wir eine Vorahnung davon, dass in Zukunft nicht alles so vollkommen verlaufen würde, wie wir es erwarteten . Wir umarmten einander. Wir schworen uns, nie zu vergessen“ [ aus „Yanks treffen Rote. Eine Begegnung an der Elbe, Erinnerungen amerikanischer und sowjetischer Soldaten des Zweiten Weltkriges, ed. Mark Scott, Semyon Krasilschik, Santa Barbara 1988, Deutsche Übersetzung 1988, S. 18-25, hier S. 22 ]

Als ich diese Sätze las und vor dem Denkmal dieser ersten Begegnung der Soldaten aus sehr unterschiedlichen Welten stand, stellte ich mir die wunderbare feste Hoffnung der überlebenden Soldaten vor – Sie feierten die Befreiuung ausgiebig.

Gleichzeitig dachte ich an die zahllosen Aktivitäten für den Frieden nach dem Ersten Weltkrieg, an Käthe Kollwitz’ Nie wieder Kriegsplakat von 1924 . – Weniger als zehn Jahre später gab es den Januar 1933!

Joe Polowsky, der amerikanische einfache Soldat gab 1947 seine Studien an der Universität von Chicago auf, um – ohne finanzielle Unterstützung – in einer Einmann-Aktion einen Kampf gegen den kalten Krieg und die nukleare Aufrüstung zu führen. Er wurde dadurch bekannt, dass er an jedem 25. April auf der Michigan Avenue Brücke in Chicagao an den „Schwur an der Elbe“ erinnerte, für den Frieden demonstrierte. Seine Haltung teilte Polowsky mit etlichen der sowjetischen Soldaten, die er bei Torgau im April 1945 traf.

Am 24. Oktober 1945 wurde in San Franzisco als Antwort auf den Zweiten Weltkrieg und den Faschismus die UNO gegründet – in ihrer Charta ist der explizite Verzicht auf einen Angriffskrieg niedergelegt. Sie ist Grundlage des regelbasierten Zusammenlebens der Völker und Nationen.

Die Realität wird uns in ganz anderer Weise vor Augen geführt . Mich macht es immer neu fassungslos, wenn ich heute am Morgen lese, wie Putin die Ukraine mit einem entsetzlichen Angriffskrieg vereinnahmen will und das Land mit Bomben überzieht.

Der 8. Mai 1945 war Befreiung. Unsere Überzeugung, es dürfe als Lehre aus dem Faschismus und aus dem Zweiten Weltkrieg nie wieder Krieg in Europa geben, war eine falsche Hoffnung.

Aber, trotz aller Skepsis: Der 8. Mai 1945 ist unverändert Mahnung – für den Frieden, gegen Krieg, gegen Verfolgung von Minderheiten, gegen Antisemitismus und Rassismus zu kämpfen.

Noch einmal Bertolt Brecht,. An meine Landsleute 1949

Ihr, die ihr überlebtet in gestorbenen Städten
Habt doch nun endlich mit euch selbst Erbarmen
Zieht nun in neue Kriege nicht, ihr Armen
Als ob die alten nicht gelanget hätten.
Ich bitt euch, habet mit euch selbst Erbarmen.

Ihr Kinder, dass sie euch mit Krieg verschonen,
Müßt ihr um Einsicht eure Eltern bitten.
Sagt laut, ihr wollt nicht in Ruinen wohnen
Und nicht das leiden, was sie selber litten.
Ihr Kinder, dass sie euch mit Krieg verschonen!

Ihr Mütter,da es euch anheim gegeben,
Den Krieg zu dulden oder nicht zu dulden,
Ich bitt euch, lasset eure Kinder leben!
Dass sie euch die Geburt und nicht den Tod dann schulden:
Ihr Mütter, lasset eure Kinder leben.

Nie wieder! Schon wieder? Antisemitismus nach dem 7. Oktober 2023

Henrike Müller, Fraktionsvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen in der Bremischen Bürgerschaft

Liebe Frau Hahnstein, lieber Herr Jenss, liebe Anwesende!

Herzlichen Dank für die Einladung, Ich habe wirklich sehr gerne zugesagt, um heute hier gemeinsam mit Ihnen ein Zeichen zu setzen –

gegen den widererstarkenden Antisemitismus,

gegen die Menschenfeindlichkeit, die uns umgibt,

gegen die Geschichtsvergessenheit mit der wir aktuell wieder konfrontiert sind.

Wir alle wissen, dass der Antisemitismus in Deutschland nie verschwunden war. Am 8.Mai wurde das brutale menschenverachtende Regime der Nationalsozialisten besiegt, aber das antisemitische Gedankengut und die menschenverachtenden Haltungen natürlich noch lange nicht. Europaweit ist über die letzten Jahrzehnte stets ein latenter Antisemitismus messbar und spürbar gewesen. Daher gibt es Initiativen wie Ihre, daher sind wir über all die Jahre besonders wachsam.

Aber was wir seit dem brutalen Überfall der Hamas auf Israelis am 7.Oktober beobachten, ist besonders erschreckend. Erinnern Sie sich an die ersten Demonstrationen, die sich mit den Opfern und mit Israel solidarisierten. Bei der Teilnahme an diesen Demos dachte ich bereits, oh das Blatt wird sich wenden. Es war nur eine Frage der Zeit, schon diese Gedanken waren bitter.

Und das Blatt wendete sich schneller als ich es befürchtet hatte. Der offene Antisemitismus kam zurück und zwar mit voller Wucht.

  • Auf den Strassen
  • In den Hochschulen
  • Im Feuilleton und den Talk-Shows
  • Und nicht zuletzt im Netz

Was brauchen wir jetzt in dieser Situation?

Klare Haltungen, offenen Widerspruch und Bündnisse gegen die aktuellen Grenzverschiebungen, die unter anderem auch von Gerichten vorgenommen werden.

Die Entscheidung des Bremer Verwaltungsgerichtes, dass eindeutig antisemitische Slogans – wegen der aktuellen Umstände – angeblich nicht mehr sind, ist doch fatal. Hier braucht es natürlich politischen Widerspruch. Wir können doch nicht tolerieren, dass unsere jüdischen Nachbarinnen, Freundinnen sich ungehindert mit antisemitischen Beschimpfungen konfrontiert sehen. Das ist nicht hinzunehmen.

Auch nach diesem Gerichtsurteil darf es keinen Freibrief für antisemitische Äußerungen, Beschimpfungen und Hetze geben.  Und es ist es keine Option, offenen Antisemitismus auf Demonstrationen oder anderen Versammlungen zu tolerieren.

Hier braucht es uns als Zivilgesellschaft, und Elvira Noa hat es in ihrem Grußwort erwähnt, es gibt die guten und hoffnungsvollen Zeichen. So viele Menschen haben in den letzten Monaten klar gemacht, dass sie unsere plurale Demokratie zu verteidigen breit sind. Diese Bündnisse müssen wir stärken und immer da widersprechen, wo relativiert wird, wo Hass und Hetze kultiviert wird.

Nehmen wir uns die Worte von Elvira Noa zu Herzen und tragen die Verantwortung, die wir haben und kämpfen weiter, gemeinsam für unsere demokratischen Grundfesten und gegen jeden alten oder neuen Antisemitismus.

Herzlichen Dank!

Konzert zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus

19.00 h, Zionskirche Worpswede

„UNERHÖRT! – ÜBERLEBEN DURCH MUSIK“

Liv Migdal, Violine – Ulrike Migdal, Text

Musik und Reflexionen im Dialog

Musik von Johann Sebastian Bach, Heinrich Ignaz Franz Biber, Lera Auerbach, Ilse Weber, Alexandre Tansman, Paul Ben-Haim