8. Mai 2023 – Gedenken zum Tag der Befreiung

Begrüßung: Jochen Semken

Ich begrüße Sie/Euch zum heutigen Gedenktag anlässlich des Endes des 2. Weltkrieges am 8. Mai 1945.

Am 27. Januar jeden Jahres gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus. Vor kurzem erst, am 19. April haben wir des Aufstandes im Warschauer Ghetto vor 80 Jahren gedacht. Und in 2 Tagen wird am „Tag des Buches“ auch der Bücherverbrennung im Mai 1933 vor 90 Jahren gedacht. Diese Bücherverbrennungen waren der Höhepunkt der „Aktion wider den undeutschen Geist“ und richteten sich vor allem gegen jüdische, queere, oppositionelle und politisch unliebsame Schriftsteller.

Für uns als Initiative und für viele andere Menschen ist es wichtig und selbstverständlich an diesen und an weiteren Tagen an die Gräueltaten des 3. Reiches zu erinnern! Aktuell noch in Anwesenheit von Zeitzeugen, in Kürze wohl nur noch mittels Berichte und Aufzeichnungen.  

Trotz wachsendem Rechtsextremismus und trotz wachsendem Antisemitismus und trotz vielfacher Gewalt gegen Ausländer und „Andersdenkende“ hören wir in der Bevölkerung aber auch aus bestimmten Kreisen der Politik immer wieder:

  • Sollten wir nicht endlich aufhören immer wieder an den Krieg zu erinnern und an den Holocaust?
  • Gibt es nicht wichtigere Themen und Probleme die wir aktuell bewältigen müssen?
  • Es ist doch schon so lange her, sollten wir nicht mehr voraus und weniger zurückschauen?

Wer diese Fragen stellt, blendet aus, dass Erinnerungen, dass gemachte Erfahrungen, dass Erlebnisse immer auch die Basis für unser aktuelles und natürlich auch für zukünftiges Handeln sind.

Über 75 Jahre haben wir in Europa, auch aus diesen Erfahrungen heraus, in Frieden gelebt. Seit 1945 gilt der Schwur: Nie wieder Krieg! Viele konnten sich nicht vorstellen, dass in Europa jemals wieder Berichte über Kampfpanzer und über Kampfflieger unseren Alltag ständig begleiten. Und plötzlich, herrscht in Europa wieder Krieg! Und wir müssen mit Schrecken erkennen, es wiederholt sich alles:

  • Putins Angriffskrieg in der Ukraine verursacht gerade wieder unendlich viel Leid und Zerstörung.
  • Menschen flüchten, Menschen werden vertrieben, unendlich viele Menschen sterben.
  • Wir alle und vor allem auch die Menschen im Kriegsgebiet fragen sich: Wann ist der Krieg, wann ist das Grauen des Krieges endlich wieder vorbei?

Dies fragten sich im Frühjahr 1945 nach 6 Jahren Krieg auch viele Deutsche und vor allem viele Insassen von Konzentrations- und Arbeitslagern.

Am 8. Mai 1945, heute vor 78 Jahren, endete der 2. Weltkrieg dann endlich durch die vollständige Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Längst nicht alles Leid, ab das direkte Leid durch Waffen und Kriegshandlungen hatte nun endlich ein Ende.

Auf vielen hier am Rand des Rosa Abraham Platzes gezeigten Bildern sehen wir das schreckliche Grauen und das vielfältige Leid des Krieges. Und viele Texte und Berichte verdeutlichen und verstärken dieses Leid in unseren Köpfen.

Wir sehen hier heute aber auch Bilder der überschwänglichen Freude und des Jubels. Wir schauen vielleicht im ersten Moment diese Bilder etwas irritiert an. Denn: Wie kann man im Angesicht des Krieges jubeln?

Bei allem Grauen, bei allem Schrecken, verdeutlichten die Bilder des Jubels vor allem aber auch die übergroße Erleichterung über das Ende des Krieges und die Befreiung vom Nationalsozialismus. Endlich gab es wieder die berechtigte Hoffnung auf Besserung und auf entspanntere Zeiten.

Diese Hoffnung habe ich natürlich auch für den aktuellen Krieg in der Ukraine und für alle anderen Kriege auf dieser Welt, auch wenn ich manchmal nahezu ohnmächtig die Kriegsberichte verfolge und mir oft keinen Weg zur Lösung vorstellen kann.

Was aber für mich wichtig ist und wovon ich fest überzeugt bin ist, dass wir gerade auch wg. des Ukraine-Krieges nicht vergessen dürfen, was vor 80, 90 Jahren geschehen ist und dass es unserer aller Aufgabe ist im Rahmen von Gedenkveranstaltungen wie heute, immer wieder daran zu erinnern und zu mahnen, was für Folgen es haben kann, wenn wir nicht mehr erinnern. 

Und genau deswegen stehe ich, stehen wir heute hier.

Gedenkrede

Erinnerung an Lilian Levy und den verlorenen Zug aus Bergen-Belsen im April 1945

Dr. Harro Jenss

Harro Jenss erzählt aus dem Leben von Lilian Levy, geb Dreifuss, adoptierte Davidson. Sie überlebte als Kind das Konzentrationslager und den Transport aus Bergen-Belsen am 09./10.04.1945 in einem der drei „verlorenen Züge“ in den Osten und die Zeit nach der Befreiung trotz der Haftfolgen und schwerster Unterernährung.

Informationen dazu finden sich auf der Webseite „Gegen das Vergessen“ der deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten sowie beim Projekt „Jüdisches Leben Frankfurt am Main“.

Schweigeminute

Sabine Oberer-Cetto

Das Ende von Nazideutschland. Wir stehen hier um dieses Tages der Befreiung zu gedenken und des ganzen geschehenen Leides. Rassismus und Antisemitismus äussern sich wieder lautstark. Geflüchtete werden angegriffen, ihre Unterkünfte angezündet. In unserer Nähe findet ein brutaler Angriffskrieg statt. Die Aufrüstung läuft auf Hochtouren. Wir sind fassungslos, unsere Worte reichen nicht aus für das Furchtbare. Wir möchten mit ihnen eine Schweigeminute einhalten, um diesem Gefühl Raum zu geben und zu bedenken was wir tun können, jeder von uns.

Ich bitte sie jetzt um Stille.