7. März 2022

Wir wenden uns nicht gegen Demonstrationen für mehr Öffnungen, sondern gegen gefährliche Meinungsblasen, die Sündenböcke suchen, von Coronadiktatur, Lügenpresse sprechen und unterschiedliche Verschwörungstheorien vertreten. Nun ist Krieg in der Ukraine und manche diskutieren, inwiefern unsere Treffen noch den Zeitgeist treffen. Corona ist gegenüber der Ukraine in den Hintergrund getreten. Aber es gibt einen Zusammenhang, über den ich etwas sagen will:

Am vorletzten Wochenende demonstrierten 2500 Menschen im niedersächsischen Gifhorn gegen die Corona-Maßnahmen. Bodo Schiffmann war per Video über eine große Leinwand zugeschaltet, er ist einer der führenden Figuren der Corona-Leugner-Szene in Deutschland. Schiffmann sprach zu den Menschen aber nicht nur über Corona, er kam irgendwann auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zu sprechen: „Hier muss man den Notwehrparagrafen heranziehen“, behauptete Schiffmann, „hier hat ein Führer eines Landes einen Befreiungsschlag ausgeführt“. Während sich in der Ukraine Zivilisten vor Russlands Bomben versteckten, applaudierten die Zuhörer auf den Schlosswiesen in Gifhorn Schiffmann.

Auch der Verschwörungsideologe Oliver Janich behauptete anhand des rechtsextremen Compact Magazins allen Ernstes, Putins Militäraktion sei „defensiv“, man würde sich gegen Angriffe ukrainischer Kräfte verteidigen.

Es ist nicht überraschend, dass die russische Propaganda zum Krieg in der Ukraine auch bei Corona-Leugnern in Deutschland gut ankommt. Der russische Sender RT Deutsch war vor der Bundestagswahl im vergangenen Jahr laut einer Auswertung des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) das zweitmeist geteilte „Alternativmedium“ in deutschen verschwörungsideologischen Telegram-Kanälen. Im September hatte Youtube den deutschen Kanal RT DE wegen des Verbreitens von Falschinformationen zur Coronakrise gesperrt, danach gewann der RT-Deutsch-Kanal auf Telegram in wenigen Wochen Zehntausende Follower. Und die Inhalte dieses Kanals werden zusätzlich massenweise in den Kanälen der Corona-Leugner verbreitet.Josef Holnburger, Geschäftsführer bei CeMAS, sagt: „Der Einfluss von RT auf Verschwörungsgläubige in Deutschland ist weit über die Pandemie hinaus relevant.“ Da die Szene sehr NATO-kritisch sei, hätten viele Führungsfiguren schon lange Partei für den russischen Präsidenten Wladimir Putin ergriffen. Auch bis kurz vor dem aktuellen Angriff der Russen auf die Ukraine sei die Nato in den einschlägigen Telegram-Kanälen als Kriegstreiber in dem Konflikt dargestellt worden. „Mit dem Tag des Einmarschs hat sich das Narrativ dann verändert“, sagt Holnburger. „Dann hieß es: Eine Entnazifizierung der Ukraine sei notwendig, Putin könne gar nicht anders als anzugreifen.“

Aber auch die Querdenker-Szene tut sich mitunter schwer: Boris Reitschuster wurde während der Pandemie zum Star der Szene, nimmt aber jetzt eine kritische Position zu Putin ein – und hat dadurch schon Tausende Abonnenten verloren. Bodo Schiffmann schrieb auf seinem Kanal: „So einige Berichte der letzten Tage lassen mich daran zweifeln, dass hier derselbe Boris Reitschuster Artikel verfasst oder unter seinem Namen mit veröffentlichen lässt, der bisher die Berichte gemacht hat.“ Der Kriegstreiber sei die NATO, nicht Russland oder die Ukraine, widersprach er Reitschuster. Putins Fehler sei es höchstens gewesen, dass er viel zu lange zugeschaut habe. Seine Anhänger rief Schiffmann dazu auf, Deutschland zu verlassen, er selbst lebt schon seit längerer Zeit in Afrika.

Es gibt auch Corona-Leugner, die einen direkten Zusammenhang zwischen der Pandemie und dem Ukraine-Krieg sehen. Holnburger sagt: „Manche behaupten, dass mit dem Krieg von angeblichen Impfschäden abgelenkt werden soll.“ Andere zweifelten dagegen gleich die Echtheit des Kriegs an. Rechtsextremer Verschwörungshetzer Wendler knüpft zusammen mit Kollegin Eva Herman nahtlos in die bisherigen Verschwörungsmythen vom „Great Reset“ ein: Der Krieg sei nicht nur genauso „Fake“ wie die Pandemie, sondern auch noch „Ablenkung“. Natürlich darf ein jüdischer Milliardär auf dem Bild nicht fehlen.

Auf den Querdenken-Demonstrationen ist der Tenor identisch: Der Ukraine-Krieg soll extra inszeniert worden sein, um ein neues Thema nach Corona zu haben. Klar, unsere Regierungen und Putin haben sich abgesprochen und die Ukraine überfallen, um … irgendwas zu erreichen. Auch auf einer Impfgegner-Demo in München zeigt sich, was für falsche Dinge über die Ukraine und Russland geglaubt werden. Die Süddeutsche berichtet, auf der Demo – für „Frieden, Freiheit und Demokratie“ angeblich wohlgemerkt – seien ukrainische Flaggen umstritten. Auch dort wird sich gefragt, ob der ganze Krieg inszeniert sei. „Man kann (…) davon ausgehen, dass das, was in der Ukraine passiert, längst abgekartet ist“, schreibt eine Kommentatorin.

Grundsätzlich hätten Verschwörungsgläubige kein Problem damit, an mehrere widersprüchliche Narrative zu glauben, sagt Holnburger. „Im einem Moment heißt es, dass es keinen Krieg gibt, im nächsten ist es dann gut, dass es den Krieg gibt.“

Man will nur seine zugrundeliegende Weltanschauung aufrecht erhalten: Dass man zu einem erlauchten Kreis der Erleuchteten gehört und alle anderen in einer Verschwörung stecken. Am Ende steht immer: Demokratiefeindlichkeit, Totalitarismus, Faschismus.

Quelle für die Zitate ist dieser Artikel aus der FAZ